Saisonvorschau

Was kann man vom 1. FC Union in dieser Saison erwarten? Eine Saisonvorschau, keine Prognose

Diese Vorschau verlangt einige Vorbemerkungen. Zum einen ist die Erkenntnisgrundlage, auf der sie beruht, sehr beschränkt: weder hatte ich Gelegenheit, viele Trainingseinheiten zu verfolgen, noch habe ich selbst alle Testspiele sehen können (vor allem, weil das Spiel gegen den FC Utrecht nicht in Gänze zur Verfügung stand). Außerdem kann es hier nur um die Ansätze des 1. FC Union selbst gehen - vielleicht hat jemand eine Übersicht über die Ausrichtung und den Leistungsstand einiger oder aller anderen Mannschaften - ich jedenfalls konnte mich mit ihnen nicht näher beschäftigen.

Union 16-17

Mögliche Union-Formation zu Saisonbeginn.

Strategie

In den Vorbereitungsspielen unter Jens Keller war deutlich zu sehen dass einige der Stichworte, die das neue Trainerteam für die Ausrichtung der Mannschaft ausgab, mit fußballerischem Leben gefüllt wurden. Am prominentesten war dabei das Gegenpressing, ergänzt durch einen Schwerpunkt auf Schnellangriffe.

Gegenpressing

Gegenpressing heißt, in Reaktion auf eigene Ballverluste aggressiv Druck auf den Gegner auszuüben, statt sich in eine Verteidigungsordnung fallen zu lassen. Bei Union geschah dies in der Vorbereitung sehr konsequent - wahrscheinlich mehr, als unter Wettkampfbedingungen beibehalten werden wird - und in fast allen Bereichen des Spielfelds.

Die Mannschaft wirkte dabei zwar agil und engagiert, auch wenn nicht durchgängig eine sinnvolle Auswahl der Situationen zu erkennen war, in denen man ins Gegenpressing ging. So versuchten hin und wieder die Sechser nach Ballverlusten im zentralen Mittelfeld nach vorn auf den ballführenden Gegenspieler zu rücken. Es ist zu erwarten, dass man dies in Zweitligaspielen nicht sehen wird. Stattdessen könnte das Gegenpressing in der eigenen Hälfte durch eine größere Bereitschaft der Innenverteidiger, aggressiv aber abgesichert aus der Kette zu rücken, ersetzt werden. Diese hat vor allem Toni Leistner in den Vorbereitungsspielen gezeigt, und mit erfolgreichen Aktionen umgesetzt.

Stattdessen wird man (sollte man) darauf bedacht sein, das Gegenpressing auf den 'Zehnerraum' zu konzentrieren, in dem es am

  • ertragsreichsten,
  • einfachsten auszulösen, und
  • besten abgesichert ist.

Hier können sich der/die zentralen Stürmer, die offensiven Außen und die höheren Mittelfeldakteure einschalten. Gelingt ein Ballgewinn im Gegenpressing, ist die Chance groß, daraus produktive eigene Offensivaktionen zu machen. Gelingt keine kontrollierte Balleroberung sollte zumindest der Gegner daran gehindert werden, seinerseits vielversprechende Angriffe einzuleiten, da der ballführende Spieler unter Zeitdruck steht und kurze Anspielstationen durch die pressenden Eisernen zugestellt sind.

In anderen Räumen und Situationen überwiegen dagegen die Risiken von konsequentem Gegenpressing öfter die Vorteile, die daraus entstehen. Das liegt auch daran, dass Gegenpressing zwar "der beste Spielmacher" im klassischen Sinn ist, aber nicht unbedingt der beste Aufbauspieler.

Spielaufbau

Die sehr engagierte aber nicht immer koordinierte, und vor allem nicht auf festen Mustern und Auslösemechanismen beruhende, Spielweise führte stellenweise zu extrem unruhigen Spielphasen, wie etwa in der ersten Hälfte des Spiels gegen Watford (Pozzo England). In diesen Passagen kam wenig kontrollierter Spielaufbau aus dem Abwehr- oder Mittelfeldzentrum zu Stande. Das hängt mit dem Fokus auf die Umschaltmomente zusammen - es ist allerdings noch nicht ganz klar, in welche Richtung die Kausalbeziehung verläuft.

Denn einerseits konnte Union nicht gut ruhig aufbauen, andererseits schien man das auch nicht besonders zu wollen. Wurde der Ball nach vorn bewegt geschah dies meist sehr vertikal und eher mit Pässen mit viel Raumgewinn und mäßigen Chancen anzukommen. Länger gehalten wurde der Ball nur (selten) in Querpässen zwischen den Innenverteidigern bevor ein Angriff ausgelöst wurde.

Nachdem Angriffe begonnen wurden war man sichtlich bemüht, sie eher auszuspielen als abzubrechen und neu aufzubauen, auch wenn dies spekulative Pässe in die Tiefe oder 1-gegen-1 Duelle bedeutete. Beispiele für alle Varianten dieser Einstellung zeigte vor allem Redondo gegen Watford.

Ob Ausnahmen, wie die geduldigere und umsichtige Einleitung des 2-0 gegen Udinese (Pozzo Italien), die Regel bestätigen oder widerlegen, bleibt allerdings abzuwarten.

Mittelfelder

Im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser strategischen Entscheidung steht die über die Besetzung des Mittelfeldes. Dank der Weiterverpflichtung von Toni Kroos und den erweiterten Optionen auf anderen Positionen, durch die Spieler frei werden, gibt es ein recht großes Angebot von Möglichkeiten für Jens Keller.

Interessant ist dabei nicht zuletzt die Rolle von Eroll Zejnullahu. Dass er in der Gunst dieses Autors nicht besonders weit unten steht ist kein Geheimnis. Und während der Vorbereitung hatte er durchaus starke Szenen, vor allem in der zweiten Hälfte des Tests gegen Udinese. Trotzdem scheint seine Position in der Mannschaft an diesem Punkt unsicher.

Auf der defensivsten Mittelfeldposition ist er wohl keine Option: von den defensiven Anforderungen abgesehen, entsprechen auch die Aufgaben am Ball nicht den Fähigkeiten Zejnullahus. Denn weder ist hier seine Fähigkeit, in engen Räumen technisch sauber zu agieren, am effektivsten eingesetzt (da dies selten die am stärksten unter Druck stehendste Position ist), noch können gelegentliche Schwächen wie verpasste Abspielgelegenheiten und unnötige Ballverluste gut kompensiert werden.

Auf beiden offensiveren Mittelfeldpositionen (sei es in einer Aufteilung mit zwei Achtern oder einer Acht und einer Zehn) hingegen ist Eroll eine Option, sieht sich aber individuell etwa gleichwertigen Alternativen ausgesetzt, die für eine direktere, schnellere und vertikalere Ausrichtung stehen (etwa mit Kreilach und Skrzybski).

Und selbst wenn sich Keller für einen Ansatz entscheidet, der nicht auf unbedingter Vertikalität beruht, erscheint es wahrscheinlicher, dass dies ein Mittelfeld mit Kroos hinter oder neben Kreilach sowie Skrzybski als Teil der Angriffsreihe bedeutet.

An Zejnullahu werden also einige der Entscheidungen deutlich, die Keller mit der Besetzung des Mittelfelds treffen muss. Einige weitere offene Fragen stellen sich: In welcher Rolle spielt Steven Skrzybski, der von verschiedenen Ausgangspositionen einen ähnlichen Effekt auf das Spiel haben könnte? Wie wird Michael Parensen eingebunden, der auf der Sechs zum Einsatz kam, aber wohl erneut als Generalreservist fungieren wird? Und kann einer der Nachwuchsspieler - etwa Lukas Lämmel - signifikante Einsatzminuten sammeln?

Ein Fazit

... zu ziehen wäre an dieser Stelle offenkundig einigermaßen absurd - schließlich fehlt es noch an Fakten, die erst ab diesem Wochenende geschaffen werden. Der Blick geht also erwartungsvoll nach Bochum, wo für Union am Samstag die Saison beginnt. Die Mannschaft von Gertjan Verbeek, und Spiele gegen sie, gehören ohnehin zu den spannenderen der Liga. Zum Saisonstart gilt dies umso mehr.