Warum hat Kiel aufgehört, Spiele zu gewinnen?

Kiel 17-18

Kiels Stammformation nach der Verletzung von Christopher Lenz und der Verpflichtung von Bergh.

Nach einem (für die meisten Beobachter) überraschend guten ersten Saisondrittel hat Aufsteiger Holstein Kiel nun seit 11 Spielen nicht mehr gewonnen. Warum?

Am 5. November gewann Holstein mit Toren von Duksch, Lewerenz und Schindler 3-0 gegen Dresden. Dieser Sieg war zwar im Ergebnis und den Chancen, die sich beide Mannschaften erspielten, deutlicher als die Balance des Spiels nahegelegt hätte, versinnbildlichte aber Kiels Saison bis dato. Mit sieben Punkten Vorsprung auf den Vierten lag die Mannschaft von Markus Anfang auf Platz Zwei, hatte das beste Torverhältnis der Liga und mit Abstand die meisten Tore erzielt.

Seitdem hat Kiel keines seiner elf Spiele gewonnen. Zwar ist man immer noch Dritter, weil nur drei der elf sieglosen Spiele Niederlagen waren und außer Nürnberg (das genau symmetrisch zu Kiel seitdem nicht mehr verloren hat) niemand konstant gut war. Aber trotzdem ist Kiels anhaltende Ergebnis-? Form-? Schein-? Krise eine der Geschichten dieser Saison. Warum kam es dazu? Spielt Kiel deutlich schlechter als zuvor? Hat der Rest der Liga das System der 'Störche' entschlüsselt und erfolgreich konterkariert? Oder haben die Norddeutschen nur Pech?

Gerade um diese Fragen zu beantworten sind 'expected Goals' Modelle praktisch. Zu sehen, ob die Qualität der Chancen die Kiel herausgearbeitet hat abgenommen hat und ob Holstein seinen Gegnern mehr Gelegenheiten anbietet hilft dabei zu klären, ob es einen Leistungsabfall zu erklären gibt (und wenn ja, auf welcher Seite des Balles dieser eher liegt).

Kiel spielt schlechter und hat (etwas) Pech

Zeitraum xG offensiv xG defensiv xG Verhlt. Tore für Tore gegen Torverhältnis Tor-xG Differenz
Sp.1-13 1,98 0,96 1,01 2,46 1,23 1,23 0,21
seitdem 1,4 1,41 0,01 1,18 1,64 -0,45 -0,44
Differenz -0,57 0,45 -1,02 -1,28 0,41 -1,69 -0,66

Die Tabelle oben (in der alle Werte pro Spiel angegeben sind) zeigt, dass (in beide Fragen falsche Alternativen präsentieren und beides der Fall ist. Ja, Kiel ist schlechter. Aber ja, sie haben auch Pech in ihren Ergebnissen. Und sowohl Offensive als auch defensive Werte - die Heck-Seite und die Bug-Seite des Kiels, sozusagen, sehen schlechter aus.

Alle Werte in dieser Aufstellung verschlechtern sich. Das heißt, das sich Kiel etwa ein Tor alle zwei Spiel weniger verdient, mit eben so vielen Gegentoren mehr rechnen muss, der Abfall in Wirklichkeit aber noch drastischer ist (mit Ausnahme der Gegentore, die im Rahmen der Erwartungen angestiegen sind). Mit Kiels Vorteil von einem zu erwartenden Tor pro Spiel durfte man damit rechnen, so viele Spiele zu gewinnen wie man es im ersten Saisondrittel tat. Die Werte seitdem sprachen dagegen für etwa drei Siege, ein Unentschieden und sieben Niederlagen. Damit hätte man die aktuell andauernde, merkwürdige sieglos-Serie zwar vermieden, aber nur unwesentlich mehr Punkte als die aus acht Unentschieden in dieser Phase geholt. Dass Kiels echte Ergebnisse in der zweiten Hälfte der Saison bisher weiter hinter den Erwartungen zurückbleiben als sie diese zuvor übertrafen ist also nicht ausschlaggebend.

Was schlechter ist

Der Leistungsabfall Kiels hat natürlich mit der Reaktion der gegnerischen Mannschaften auf die starke Hinrunde zu tun. Wie viele Mannschaften, die zunächst vor allem mit Kontern und Schnellangriffen erfolgreich sind, musste Holstein irgendwann mit tiefer stehenden Abwehrblöcken klar zu kommen. Nun ist es nicht so, dass Kiel daran vollkommen scheitert. Sie halten an wichtigen Mechanismen fest, und die Erfolgsquote in deren Umsetzung wurde nicht viel schlechter. Aber trotzdem sind sie weniger effektiv.

Deutlich wird das an den 'Steil-klatsch-Kombinationen,' mit denen Kiel oft das 'Spiel über die dritte Person' aufzieht. In diesen Spielzügen wird Steilpass in die Tiefe gespielt und dann auf den frei gewordenen seitlich von der ersten Passlinie stehenden Mitspieler abgelegt. Diese dritte Spielerin kann dann wieder in die Tiefe spielen. In Kiels Fall waren die Empfänger des Steilpasses in den Halbräumen oft Drexler oder die Außenstürmer, die dann selbst erneut geschickt wurden, seltener auch Stürmer Duksch. In der Hinrunde kam Kiel so oft zu Großchancen, da sich nach der Ablage große Räume hinter der Abwehr auftaten, die Spieler wie Kevin Schindler oder Steven Lewerenz mit ihrer Schnelligkeit nutzen konnten.

Kiel-frustriert

Kiel spielt seit November nicht nur weniger erfolgreich, sondern auch merklich schlechter, und sieht nach dem 3-2 in St. Pauli entsprechend frustriert aus; Photo: Oliver Hardt/Bongarts/Getty Images

In der Zeit ohne Sieg macht sich die defensivere Spielweise von Kiels Gegnern darin bemerkbar, dass es solche Kombinationen zwar immer noch oft gibt, Kiel damit aber nur noch in den Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld gelangt. Damit sinkt naturgemäß die Ausbeute dieser Spielzüge, da es weiterer gelungener Aktion braucht, zu Chancen zu kommen. Auch diese Aktionen gibt es bei Kiel, aber eben nicht genau so viele wie zuvor. Dieser Effekt ist etwa darin sichtbar, dass Kiels 'expected Goals' gemessen an Abschlüssen in der sieglos-Phase hinter den anhand von Anteil und Ort des Ballbesitz zurückbleiben. In der erfolgreichen Phase war das noch deutlich anders herum.

Darüber hinaus sind die Spielertypen, die Kiel in seiner Mannschaft hat, für alternative Herangehensweisen weniger geeignet. Duksch etwa ist kein besonders guter Zielspieler für lange Bälle, zu denen es nun aber öfter kommt, wenn Kiel der Spielaufbau in der Innenverteidigung überlassen wird und der Gegner Pässe auf den Sechser verhindert.

Die verringerte Effektivität im Angriff wirkt sich auch auf die Defensive aus. Kiel muss mehr Spieler in Angriffe einbinden, das Spiel mit hoch stehender Viererkette aufbauen und damit mehr Risiken eingehen. Auch das kommt den Spielern in einem Mannschaftsteil nicht entgegen: Die Innenverteidiger sind passable, aber nicht kreative Aufbauspieler und in Frontalzweikämpfen stärker als in der Konterverteidigung. Letztere ist nun aber häufiger gefragt.

Dagegen ist Kiels oft sehr aggressives Pressing, an dem sich zu weilen die Außenverteidiger im Angriffsdrittel beteiligen, gegen tiefer stehende Gegner die weniger Risiken eingehen weniger effektiv.

Personal

24²

24²: Dominick Drexler gehört wie Steven Skrzybski zu den herausragenden Spielern der Saison.

Diskutabel sind vielleicht auch einige Personalentscheidungen. Dominic Peitz ist zwar relativ zweikampfstark und hat recht gute Orientierung auf dem Feld. Er ist aber auch einer der technisch schwächsten Sechser der Liga und nicht überragend athletisch. Dass er und Kinsombi - der etwa gegen Union bis zu seinem den Elfmeter zum Ausgleich verursachenden Foul überragend in der Innenverteidigung spielte - sich die Position im defensiven Mittelfeld teilen ist keine optimale Lösung. Vor allem nicht, da in Atakan Karazor inzwischen ein weiterer Spieler für die Position verfügbar ist, der defensives Spielverständnis, Pressingresistenz und kreatives Passspiel vereint, das aber nur knapp zwei Spiele lang zeigen durfte.

Dass Holsteins Kader insgesamt gut besetzt ist, wissen wir, seit GoalImpact Kiel vor der Saison zu Favoriten auf den Aufstieg erklärt hat (was sie auch bis heute sind, auch wenn inzwischen Nürnberg auch von diesem Modell als der wahrscheinliche Meister angesehen wird). In der Hinrunde wurde oft als ein Grund für Kiels Stärke genannt, dass Markus Anfang mit wenigen Verletzungen zu tun habe. Das stimmte schon damals mit Blick auf Langzeitausfälle von Christopher Lenz und Manuel Janzer nicht. Allerdings hatten Schlüsselspieler wie Drexler in der Rückrunde öfter mit Blessuren zu kämpfen, was etwa bei dem zentralen offensiven Mittelfeldspieler zu einem leichten Formabfall beigetragen haben dürfte, obwohl er kein Spiel verletzte verpasste. Mit Amara Condé fehlt außerdem aktuell ein Spieler für mehrere Monate, der gerade in Kaiserslautern bei seinem ersten nennenswerten Einsatz angedeutet hatte, eine gute Alternative auf den Außen sein zu können, die es Kiel erlaubt hätte, die Stammspieler dort etwas zu entlasten.

Fazit

Kiel macht immer noch vieles richtig und ist auch nach einer lang ausgedehnten Schwächephase noch in einer guten Position im absurd engen Aufstiegsrennen in der zweiten Liga. Zwar hat man in der Phase ohne Siege mehr echte spielerisch-taktische Probleme bekommen, als es im ersten Saisondrittel den Anschein machte. Aber weil in Kiels Spiel immer noch viel schönes dabei ist, und man in dieser Phase etwas Pech hatte, ist ein erneuter Aufschwung durchaus sehr gut möglich. Wenn Kiel tatsächlich aufsteigen möchte - und das ist in diesem Fall vielleicht eine echtere Frage als in den meisten anderen - müsste dieser Aufschwung aber bald erfolgen. Denn nach der Partie gegen Mit-Aufsteiger Duisburg morgen erwartet Kiel mit Spielen gegen Bochum, Heidenheim, Bielefeld und Darmstadt eine Phase mit einem etwas leichteren Programm. Danach wird sich zum Saisonende in Spielen gegen einige der besseren/besser postierten Mannschaften der Liga - @Dresden, Nürnberg, @Ingolstadt, @Düsseldorf, Braunschweig - entscheiden, wozu eine der interessanteren Zweitligasaisons einer guten Mannschaft letztlich reicht.

Eiserne Ketten unterstützen...

vgwort