Aggressives Pressing und Aggressive Worte
Union startet mit einer guten Leistung und einem 2-0 Sieg in Kiel in die Serie von Spielen gegen die Verfolger im Aufstiegsrennen. Wir analysieren das Spiel in vier (naja, fünf) Szenen.
Wie das Spiel ausging
Es ist vielleicht kein Zufall, dass eins der Tore in einem 2-0 zu den Szenen gehört, die zeigen, warum die Partie so ausging wie sie das eben tat. Da im Fußball aber oft genug untypische Momente zu Toren führen, und weil nicht-gefallene Tore das Ergebnis ja ebenso sehr bestimmen wie geschossene, muss das auch nicht unbedingt der Fall sein.
In diesem Spiel zwischen Holstein und Union zeigte das 0-1 aber tatsächlich ganz gut, warum Urs Fischers Mannschaft sich durchsetzen konnte. Denn in der Entstehung von Unions Führung zeigte Kiel sowohl seine eigentlichen Stärken als auch die Nachlässigkeiten, wegen der diese Stärken nicht allzu stark zur Geltung kamen. Und Union spielte mit großer Übersicht und hatte effiziente Momente.
Die Sequenz, aus der Kroos Tor fiel, begann bei Spielminute 25:52 damit, das Kiel das Spiel aus seiner dafür berühmten Innenverteidigung aufzubauen versuchte. Hauke Wahl hatte nun auch einen sehr guten Moment, als er den pressenden Andersson ausdribbelte. Doch im selben Moment stellt sich Dominik Schmidt schlecht zum Ball, ist deshalb nicht bereit für Wahls Pass, verliert das Momentum und entscheidet sich dann, den geplanten Vortrag abzubrechen und einen langen Ball zu spielen. Zwar erreicht dieser Ball mit Meffert einen Kieler im Strafraum, er kann ihn aber nicht kontrollieren. Es kommt zu einem fairen Kopfballduell zwischen Friedrich und Lee, das nur einen Sieger haben kann, und Grischa Prömel nutzt den Moment, in dem Kiel protestiert und ungeordnet ist, um sich mit dem Ball zu lösen.
Nachdem Prömel Mané anspielt, kommt Kiel zwar noch einmal aus dem Meckern heraus und ins Gegenpressing, Unions Flügelspieler kann aber auf Trimmel ablegen. Der wiederum sieht, dass Prömel seinen Lauf auf die vakante Position von Mané am rechten Flügel fortgesetzt hat und spielt ihn mit einem sehr genauen Flugball an. Damit sind wir in dem Teil des Tores angekommen, der in einem high-light Zusammenschnitt zu sehen ist: Andersson und Gogia binden die Verteidiger im Strafraum, Kroos setzt sich ab, Prömel sieht ihn und spielt ihn perfekt an, Kroos schießt den Ball in die lange Ecke.
Wie sich Urs Fischer das Spiel vorgestellt hat
Das Tor war sicher schon eine ziemlich optimale Umsetzung dessen, was sich Urs Fischer für das Spiel vorgenommen hat. Es hing in der Entstehung aber eben auch von einem Kieler Fehler abhängig, auf dessen Vorkommen man sich eigentlich nicht verlassen kann.
Deshalb werden Unions Trainer die Szenen, in denen Union die ideale Version von Kiels Aufbau stören konnte, noch besser, oder wenigstens besonders gefreut haben. Ein Beispiel dafür gibt Unions erster Torschuss durch Gogia und seine Vorgeschichte ab. Kiel gewinnt den Ball und formiert sich ab 2:22 im Aufbauspiel. Anders als in der zuletzt sezierten Szene finden diesmal die Rochaden, die daran so bemerkenswert sind, statt. Doch Union verfolgt sie aus dem 442-Pressing heraus sehr gut.
Am Beginn der Szene setzt sich Innenverteidiger Schmidt in den Sechserraum ab, Torwart Kenneth Kronholm übernimmt seine eigentliche Position in der Viererkette. Unions Pressingspieler, insbesondere Gogia und Andersson verhalten sich in diesem Moment noch gespannt abwartend. Kronholms Pass auf Rechtsverteidiger Dehm ist dann der Auslöser, der eine Pressingkaskade in Bewegung setzt: Andersson läuft Dehm an, Gogia deckt Schmidt. Weil es für Kiel so keine Anspielstationen nach vorn gibt, beginnt Dehm das Ganze mit seinem Pass zurück auf Kronholm von vorn. Er wechselt nun mit Schmidt (jetzt quasi RV) die Positionen und besetzt selbst die 6. Als er dort den Ball zurück bekommt, hindert ihn Andersson daran, sich aufzudrehen.
Kiels Aufbauversuch ist damit erstmal gescheitert, Kronholm schlägt den Ball lang. Doch ein paar flippernde Momente später macht der Ex-Kieler Lenz den vielleicht entscheidenden Laufweg, in dem er Mühling tief im Halbraum stellt. Der muss so einen unkontrollierten Ball auf Karazor spielen, der deshalb zum Opfer von Gogias und Prömels Gegenpressing wird, die den Konter dann bis zum Strafraum und einem halbwegs gefährlichen Abschluss tragen.
Wie Tim Walter das Spiel gesehen hat
Von Szenen wie diesen war in den Äußerungen von Kiels Trainer Tim Walter nach dem Spiel allerdings nichts zu hören. Stattdessen sprach er davon, wie gut seine Mannschaft an ihren fußballerischen Prinzipien festgehalten habe, und wie wenig Union an Fußball interessiert gewesen sei.
Alles, was Walter sagte, fiel zwar in die Kategorie 'citation needed'. Wenn es dafür aber Evidenz gab, dann waren es Momente wie die zwischen Minute 23:10 und 23:52. Dass auch diese Szene in Kiels Aufbauspiel beginnt, gibt übrigens einen Hinweis darauf, warum Holstein am Ende auf 60% Ballbesitz kam. In diesem Moment nutzten sie diesen aber auch exzellent. Schmidt spielt diesmal einen überragenden Pass durch das gesamte Mittelfeld auf Okugawa in Zone 14. Der Japaner, der in diesem Moment mit Lee die Positionen getauscht hatte, verarbeitet diesen sehr guten Ball noch besser und legt ihn an dem heranfliegenden Friedrich vorbei, nein, unter ihm durch, auf Serra. Gikiewicz muss dessen Schuss halten, und Union kommt in der Folge nur zu drei konfusen Klärungsversuchen, bevor Kroos Karazor unterläuft.
Bis hierhin sieht das tatsächlich ein bisschen nach dem Spiel aus, das Tim Walter gesehen hat. Aber auch nur bis dahin, denn dann spielt Meffert einen Pass ins Nirgendwo, versucht sich Union spielerisch zu lösen. Das gelingt zunächst halbwegs, dann nach einem weiteren Ballgewinn und einem Dribbling von Friedrich über 30 Meter ganz - und führt nach Trimmels Hereingabe mit der versuchten Klärung von Schmidt zur gefährlichsten Szene für Union, in der nur eine hervorragende Reaktion von Kronholm die Führung verhindert (die dann bekanntermaßen kurz darauf fiel).
Wie das Spiel auch hätte ausgehen können
Damit diese Analyse das Spiel getreu wiederspiegelt, müssen wir aber auch noch auf Kiels Chancen in der zweiten Hälfte eingehen, vor allem die von Okugawa (der für mich eine Entdeckung dieses Spiels war) nach genau 50 Minuten.
Aus einem Einwurf von Bergh heraus bindet Lee mit einem Dribbling Hübner, der den Moment verpasst, den Südkoreaner zu übergeben oder auch laufen zu lassen. Karazor schleicht sich während dessen in den für Kroos blinden Raum in seinem Rücken und bekommt dort den Ball. Die von Hübner hinterlassene Lücke hat zwar Prömel gefüllt, trotzdem kann Karazor durch diese Schnittstelle Okugawa anspielen, dessen Schuss aus der Drehung Gikiewicz eine sehr hübsche Parade abverlangt. Dass Prömel hier aufmerksam Hübners Rolle übernimmt, ist aber trotzdem elementar wichtig, denn Okugawas Chance wird damit bedeutend kleiner und Gikiewiczs Rettung überhaupt erst möglich.
Szene des Spiels
Die bis hierher analysierten Spielsequenzen waren die Szenen des Spiels, die Szene des Spiels war Gogias Ball Annahme, Mitnahme und Pass auf Mané ab Minute 5:30.
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