Der entscheidende Tropfen
Bevor der 1. FC Union am Montag die Trennung von den Trainern Keller und Pedersen verkündete (einen Kommentar dazu gibt es hier morgen), gab es ein Fußballspiel, das, wie sich herausstellte, ein anderes Fass zum Überlaufen brachte als Unions social media team vor dem Spiel meinte. Für Eiserne Ketten war Julia Niekrenz in Bochum. In ihrem Autorinnendebut kommentiert sie, was sie dort sah:
Als ich Daniel, der hier normalerweise schreibt, bei einem Trainer-Lehrgang am Wannsee kennenlernte, hatten wir nur wenig Zeit, über die Entwicklungen bei Union zu sprechen. Woran ich noch mich dabei aber erinnere, ist eine Diskussion über das bittere 0:1 zuhause gegen Aue in der vergangenen Saison. Das Ergebnis, in Kombination mit dem mut- und ideenlosen Auftreten, ließ damals meine Ambitionen auf den Aufstieg rasant schwinden.
Seitdem gab es ohne Frage zwischendurch immer mal wieder Grund zur Freude, aber dennoch kamen meine damaligen Zweifel heute im Bochumer Gästeblock wieder. Ein Gefühl, das ich von einem stürmischen Tag in Duisburg vor einigen Wochen leider auch schon kannte.
Warum spielt(e) Union (unter Keller) zuletzt so wenig Fußball?
Mir stellte sich vor dem heutigen Spiel zunächst die Frage, wie Keller den Kurzeinsatz von "Vielleicht-weiterhin-Kapitän" oder "Nicht-mehr-Kapitän" Kroos gegen Darmstadt bewertete. Für mich ist er nicht der eine Sündenbock, aber ganz klar eine Personalie, über die nicht erst seit diesen 90 bzw. wie gewohnt etwa 60 Minuten in Bochum diskutiert werden muss. Scheinbar sah Keller Kroos anders als ich, denn er begann in der Startelf und führte zu meiner großen Überraschung die Mannschaft als Kapitän aufs Feld. Deshalb überraschend für mich, weil ich nach seiner Einwechslung gegen Darmstadt die gleiche Verunsicherung sah, wie in den letzten Spielen und seine fragwürdige Körpersprache auch weiterhin keinen positiven Einfluss auf die Mitspieler zu haben schien.
Hinzu kam, dass Bochums Stadionsprecher beim Vorlesen der Mannschaftsaufstellung prophezeite, dass Polter die Binde tragen würde, was mich insgeheim hoffen ließ, dass in den letzten Tagen innerhalb der Mannschaft eine neue Hierarchie entstanden sei.
Zum Spiel selbst fällt es mir zugegebenermaßen schwer, sachliche Worte über taktische Auffälligkeiten zu finden - zu groß ist die Enttäuschung nach wie vor über diese Vorstellung bei einem zu Beginn alles andere als selbstbewusst wirkenden VfL Bochum. Dabei kamen die Gastgeber vor Leistners wirklich sehr gutem Ball in den Lauf von Polter zu, wenn ich mich nicht irre, mindestens zwei guten Möglichkeiten. Als Hinterseer den Ball zu Beginn des Spiels für Sam gefühlvoll in den Strafraum spielt, konnten die mitgereisten Unioner vielleicht schon erahnen, dass Bochum doch etwas mehr Qualität hat, als ihr Tabellenplatz vermuten lässt. Vergleicht man Sams hektisches Verhalten in dieser vielversprechenden Situation mit Polters überzeugtem Abschluss zum 1:0, so wurde schon recht deutlich, welch große Rolle das Selbstbewusstsein in Situationen vor dem gegnerischen Tor spielt.
Wie sich das Spiel nach der Führung entwickelte, gab mir jedoch große Rätsel auf. Seit Wochen schon frage ich mich, warum eine Mannschaft mit klar formulierter Aufstiegsabsicht einen kontrollierten Spielaufbau so oft verweigert. Dabei scheint es auch nahezu unerheblich zu sein, ob man zuhause oder auswärts spielt und wie der Gegner heißt. Positive Erinnerungen habe ich in dieser Hinsicht eigentlich nur an das Pokalspiel in Leverkusen, wo sich Mesenhöler, Parensen, Fürstner & Co teilweise erstaunlich ballsicher aus brenzligen Situationen befreien konnten. Auch mit Blick darauf, dass die meisten Zweitligisten Unions Aufbauspieler deutlich später anlaufen, verstehe ich das zu erkennende Muster "Busk lang auf Polter" erst recht nicht. Nun könnte man argumentieren, dass es gegen Bayer 04 nichts zu verlieren gab, und man deshalb freier aufspielen konnte und bereit war, mehr zu riskieren als im Ligabetrieb. Diese Umstände reichen aber für mich nicht aus, um die gegensätzliche Spielweise zum Beispiel in Duisburg, Heidenheim und Bochum zu erklären. Auch zuhause gegen Darmstadt nahm Daniel ja eine Anweisung von Keller wahr, dass Busk (noch) mehr lange Bälle spielen soll.
Was ging in Bochum schief?
Wenn man nun versuchen will, diese völlig verdiente Niederlage in Bochum aus taktischer Sicht zu begründen, so kommt mir zunächst in den Sinn, dass ich das Verhalten von Prömel und Kroos nicht ganz nachvollziehen konnte. Zu oft schienen die beiden wenig bis gar nicht auf das Verhalten des anderen zu achten. Stattdessen liefen beide in Richtung Ball, zogen Gegenspieler mit und Bochum erreichte schnell Überzahl auf einer Seite. So blieb dann oft nur der Rückpass oder ein Ballverlust.
Generell kann ich ohnehin schwer nachvollziehen, warum man das Spiel nach Abstößen oder gehaltenen Bällen in gefühlt 95% der Fälle auf die gleiche Weise wieder ins Spiel bringt, nämlich durch einen lang geschlagenen Ball in einen Raum in den die Mannschaft kompakt zusammenrückt. Mir erschließt sich dieses taktische Mittel ohnehin nur in sehr seltenen Fällen, aber für eine Spitzenmannschaft in einem Auswärtsspiel bei einem wochenlang sieglosen Gegner, fällt mir absolut kein Argument dafür ein.
Mit einem Fokus auf Kopfballduelle, bei denen die Chancen vielleicht 50:50 stehen, der Ball zu kontrollieren und einer Ausrichtung, in der wirklich gutes Umschaltverhalten an den Tag gelegt werden muss, um erfolgreich zu sein, verlässt man sich einfach auf zu viele Zufälle. Zumal man den Vorteil des eigenen Ballbesitzes einfach hergibt und selbst das Risiko eingeht, den Gegner zu einem Angriff einzuladen. Dass Unions Abwehr da auch nicht unbedingt sicher ist, hat schon Holstein Kiel zu Beginn der Saison erkannt.
Aufgrund dieser häufig praktizierten "Idee" in Busks Spieleröffnung war der Ball also fast nur nach Balleroberung im Mittelfeld und anschließendem Rückpass am Fuß von Leistner oder Torrejón. War dies der Fall, offenbarte sich das nächste angesichts der Tabellenkonstellation und der frühen Führung wenig verständliche Problem: Teilweise ging Kroos auf seine geliebte Halbposition neben den Innenverteidigern, forderte dort den Ball, bekam ihn aber wie auch schon gegen Darmstadt sehr selten. Wenn doch, spielte er ihn wenig druckvoll zurück zu einem der Innenverteidiger oder aber unter Bedrängnis direkt zu Busk, der immerhin aus dem Spiel heraus bemüht war, kontrollierte Pässe auf Trimmel oder einen der Innenverteidiger zu spielen. Auch Prömel suchte sich für meinen Geschmack ein paar Mal zu oft Anspielstationen in der Breite, statt Pässe in die Tiefe zu riskieren. Von Hartel und auch Hedlund waren ein paar gute Bewegungen zu erkennen, aber sie wurden (auch von Trimmel) nicht so präzise bedient wie gewohnt. Gelangen doch mal Pässe in Unions Offensivabteilung und konnte etwa Hartel sich aufdrehen, wirkte das in der Anfangsphase noch recht vielversprechend. Man hatte dann zumindest das Gefühl, im letzten Drittel eine gewisse Qualität auf dem Platz zu sehen.
Dieser Glaube nahm jedoch im Laufe der Zeit ab, weil auch den sonst so mutigen Hedlund und Hartel, wenn sie den Ball denn mal hatten, gegen die stabile Bochumer Defensive wenig Effektives gelang. Auch Hartel wurde dann ungeduldiger und machte seine Angebote viel zu tief in der eigenen Hälfte, in der mit Prömel und Kroos eigentlich schon zu viele Spieler hinter dem Ball waren. Auch deshalb war Bochum in den gefährlichen Räumen, in die Union hätte spielen wollen, nahezu dauerhaft in Überzahl. Das Aufbauspiel der Gastgeber wirkte um Einiges strukturierter und die Dreierkette rund um Losilla überzeugte mit zunehmender Spieldauer mehr. Der VfL hatte in seinem Spiel nach vorn genug Tiefe, um sich ins vordere Drittel zu kombinieren und fand immer wieder Anspielstationen zwischen Unions Viererkette und den beiden Sechsern Prömel und Kroos, die auch defensiv sichtlich Abstimmungsprobleme hatten.
Das Rätsel Felix Kroos
Der Großteil der wenigen Offensivaktionen, die es für Union noch gab, scheiterte an eigenem Unvermögen. Mal war es die Ballmitnahme, dann wieder die Passschärfe, die nicht passte und so glaubte Bochum von Minute zu Minute mehr daran, in diesem Spiel doch punkten zu können. Dass das letztlich sogar sogar dreifach gelang, sah spätestens nach dem Schlusspfiff vermutlich ganze Stadion auch als hochverdient an.
Für die Heimfahrt der mitgereisten Unioner Fans blieb dann neben der Frage, warum die Einstellung und Körpersprache, ein Spiel unbedingt gewinnen zu wollen, nur bei Polter und vielleicht den von der Bank gekommenen Fürstner, Kreilach und Skrzybski zu sehen war, außerdem noch das Rätsel um die Nummer 23. In der Offensive kaum in Erscheinung getreten, in der Defensive auch keine deutliche Steigerung zu den vergangene Partien und damit wenig überraschend für die mitgereisten Fans gerechtfertigter Weise in der 64. Minute einmal mehr der erste Spieler, der den Platz verlassen musste.
Dass er sich dabei für die Übergabe der Binde an Polter und den Weg zur Bank so viel Zeit ließ, dass der Schiedsrichter schon überlegte, in welcher Tasche seine gelbe Karte steckte, ohne dass der Spielstand für diese Trägheit Grund gegeben hätte, erweckte für mich den Eindruck, dass Kroos von seiner erneuten Auswechslung wenig begeistert war.
Der leblose Auftritt von ihm - aber auch seinen Mitspieler - senkt die Erwartungshaltung für das Heimspiel gegen Dresden wohl deutlich. Es bleibt abzuwarten, was in den kommenden Tagen zum Thema "Explosionsgefahr" und Unzufriedenheit einzelner Union-Akteure in der Presse zu lesen sein wird. Potential für Spannungen ist jedenfalls offensichtlich, denn den 90 Minuten auf dem Rasen entstand der Eindruck, dass diese Mannschaft nicht frei von sportlichen und vielleicht auch zwischenmenschlichen Baustellen ist. Diese gilt es zu beseitigen, um die Alte Försterei für Uwe Neuhaus und seine Spieler am Samstag zu keinem freundlichen Ort werden zu lassen.