Gefühlte und gespielte Zeit
Union schießt in einem unterhaltsamen Spiel ein Tor zu wenig - auch, weil es früher aufhört zu spielen als nötig wäre.
Dabei bestimmt Union das Spiel, und erarbeitet sich auch genug Chancen. Dabei hilft, das Union nach dem Spiel in Nürnberg etwas ändert.
Mittelfeldanpassungen
Während sich Unions Formation kaum veränderte, brachte eine personelle Rochade im Mittelfeld einige Anpassungen sowohl an Probleme aus dem Spiel gegen Nürnberg, die Aufgabe, die Bielefeld stellen würde und den Ausfall von Toni Leistner in der Innenverteidigung.
Kreilach rückte eine Position zurück in die Basis des Mittelfelddreiecks, wo er Stephan Fürstner ersetzte, die Position im offensiven Mittelfeld übernahm wieder Marcel Hartel. Damit wollte man zum einen die körperliche Präsenz in (Kopfball)Zweikämpfen mit Klos erhöhen. Der Bielefelder Stürmer bietet sich oft etwas vor der letzten Linie für lange Bälle an - Situationen, in denen Leistner gern Gegenspieler verfolgt, für die aber weder Torrejón noch Schönheim prädestiniert sind. Das funktionierte: Kreilach gewann sechs Kopfballduelle in Unions Sechserraum (wie passend), Klos nur zwei bis drei.
Kreilach eine Position nach hinten zu ziehen erlaubte es Hartel, im offensiven Mittelfeld Verbindungen zwischen Unions Mannschaftsteilen zu schaffen. Gleichzeitig konnte Kreilach mit seinem eigenen weiträumigen Spiel große Teile des Mittelfeldes bearbeiten und - wie auch Kroos - gegen einen recht tief stehenden Gegner bis ins Angriffsdrittel hinein präsent sein. Mit dieser Präsenz erschwerten es die nominellen Sechser Unions, die man so gesehen auch Achter nennen könnte, Bielefeld, sich anders als rudimentär aus Unions Angriffen zu befreien, und boten in Ballbesitz relativ kurze Anspielstationen zur Ballzirkulation.
Außerdem schufen sie Raum für Hartel, indem sie die beiden zentralen Mittelfeldspieler der Westfalen immer wieder auf sich zogen und so verhinderten, dass einer der Sechser der Gäste sich ständig an Hartel halten konnte. Deshalb kam der Neuzugang aus Köln zu den guten Aktionen im Zwischenlinienraum, für die ihn Jens Keller nach dem Spiel lobte.
Simon Hedlund
Die Außenspieler von Union nehmen wie schon in den bisherigen Analysen in dieser Saison erwähnt eine interessante Rolle ein. Da Steven Skrzybski an diesem Tag merklich nicht auf der Höhe seines Schaffens war, konzentrierte sich dieser Aspekt in Unions Spiel auf Simon Hedlund, der ein sehr gutes Spiel machte.
Wie zuletzt bot er sich im Spielaufbau tief in den offensiven Halbräumen an und erhielt dort Anspiele, nach denen er den aufrückenden Pedersen einband, um ihn anschließend zu vorderlaufen. In anderen Situationen startete Hedlund aus der tieferen Position in die Spitze, oder bewegte sich in den Zehnerraum, um dort Hartel zu unterstützen oder mit ihm zu rochieren.
Noch etwas häufiger als in den letzten Spielen hielten sich Skrzybski und Hedlund in Angriffsphasen auf der selben Seite auf um Überzahlen zu schaffen - zu sehen etwa vor der Doppelchance durch Kreilachs Fernschuss an die Latte und Hartels gehaltenen Nachschuss.
Hedlund war so an fast allen guten Szenen Unions beteiligt, sei es als Passgeber oder Adressat des vorletzten Passes (wie etwa sowohl beim Abseitstor in der ersten Hälfte als auch beim Ausgleich). Dazu kamen dann noch sehr konsequente und zwingende Läufe im Pressing,
Anfangen und Aufhören zu spielen
Weil Union kurz nach der Pause ein paar unachtsame Bälle im Aufbau spielte und ein paar 50-50 Tacklings falsch rum ausgingen; und danach nur einmal traf, stand es zu Beginn der Schlussviertelstunde 1-1. Ein Spielstand, der als unentschieden nur unzulänglich beschrieben ist, da er Bielefeld entschieden besser gefiel als Union.
Umstände wie der Spielstand kommen in Taktiktanalysen wie dieser nicht immer vor, müssen aber hier erwähnt werden, da sie offensichtlich das taktische Geschehen bestimmten. In der letzten Phase des Spiels, aber auch nicht ganz erst dann, spielte Union immer ungeduldiger. Das äußerte sich zunächst in häufigeren unvorbereiteten Halbfeldflanken von Christopher Trimmel in Situationen, die Union eigentlich recht verlässlich einen oder zwei Züge weiter ausspielt, mit Durchbrüchen zu und an der Grundlinie und Rückgaben, die bessere Torgelegenheiten schaffen.
Hier ließ sich die Mannschaft von Jens Keller immer mehr dazu verleiten, die erste statt der besseren Lösung für Situationen zu wählen. Je nachdem, wie die Erfolgschancen der Optionen stehen, gibt es einen Zeitpunkt, ab dem das sinnvoll ist. Dieser Punk liegt aber deutlich hinter dem im Spiel, von dem an Union - zum Missfallen Kellers - auf Spielaufbau weitgehend verzichtet hat und sofort lange Bälle in Sebastian Polters Richtung geschlagen hat.
Noch ineffektiver werden diese Bälle durch ihre Wiederholung. Als gelegentlich eingesetztes Mittel können sie produktiv sein, wenn Staffelungen um ihr Ziel so sind, auch 'zweite Bälle' verarbeiten/gegenpressen zu können. In Reihe erlauben sie es dagegen einem Gegner in der Situation von Bielefeld, sich (noch weiter) zurückzuziehen. So hat ein ohnehin spekulatives Mittel auch noch diminishing returns.
Szene des Spiels
Ein Abschluss von Skrzybski und seine Entstehung nach genau einer Stunde - eine Szene, die gut illustriert, was für ein Spiel es für den Unioner des Jahres, für Hedlund und für Union war.
Nach einem Freistoß für Bielefeld kontert Union über Hedlund und Hartel. Als Bielefeld einen Pass zwischen beiden unterbinden kann und zu Torwart Ortega zurückspielt, setzt Hedlund seinen Lauf gut fort und Ortega unter Druck. Den Befreiungsschlag köpft Kreilach zurück zu Skrzybski, der bis zu vier mögliche Anspiele nicht findet und selbst (nach gutem Dribbling) abschließt, dabei aber geblockt wird.
Skrzybski, der angeschlagen in die Partie ging, fand nie richtig in sie hinein. Gerade weil in Akaki Gogia die direkte Alternative für seine Position erstmals zur Verfügung stand, war etwas verwunderlich, dass er durchspielte, während Hedlund und Hartel ausgewechselt wurden.