Hübnerragend
Wie vor kurzem angekündigt wird es vermehrt Spiele geben, die wir nicht wie gewohnt begleiten können. Das 0-0 von Union in Paderborn gehört zu diesen Spielen. Aber glücklicherweise interessiert sich Jan-Gabriel Hartel vom Paderball für den SC Paderborn und netterweise stellt er seine Analyse Eiserne Ketten zur Verfügung.
Am 10. Spieltag empfing der Tabellensechste den Tabellenfünften, die zweitbeste Offensive die beste Defensive und Steffen Baumgart einen seiner Herzensvereine. In dieser Ausgangslage kann man sich viele interessante Spielverläufe und große Geschichten vorstellen, aber das Schicksal wählte die konservative Option.
Das 0:0, das dabei herauskam, hatte so wenige spielerische Glanzmomente wie Tore, war über weite Strecken eher langweilig, dafür aber, wie man so sagt, spannend – was auch immer das heißen mag.
Mannschaftsaufstellungen
Auf Paderborner Seite gab es im Vergleich zur vergangenen Partie zwei Wechsel. Antwi-Adjej ersetzte Tekpetey auf der rechten Außenbahn, während der schon nach acht Spielen gelb-gesperrte Gjasula von Vasiliadis ersetzt wurde. Insgesamt blieb es bei der altbekannten 4-1-3-2-Formation mit ungewohnt kleiner Besetzung.
Auch bei Union gab es zwei Änderungen. Rechtsverteidiger Reichel wurde durch Lenz und die hängende Spitze Žulj durch Felix Kroos ersetzt. Auch mit diesen Wechseln spielte Union weiter in seinem 4-3-3 in Ballbesitz, das in der Defensive verschiedene Formen annahm.
Pressing-Variationen
Das interessanteste Element der Partie war zweifelsohne das Berliner Pressing. Anders als die meisten anderen Teams verfolgte Urs Fischers Mannschaft eine klar definierte taktische Marschroute, deren Vorgaben abhängig von der Höhe des Pressings waren.
Wenn Paderborn zum Beispiel bei Abstößen tief am eigenen Strafraum aufbaute, suchte Union in klaren Mannorientierungen Zugriff. Stürmer Andersson bewegte sich dafür nach halblinks auf Schonlau, während Strohdiek wechselnd von Prömel oder Gogia besetzt wurde. Wenn Gogia in die zentral höhere Position wechselte, wurde der linke Außenverteidiger von Prömel übernommen. Unions verbleibende Mittelfeldspieler nahmen ebenfalls Mannorientierungen auf die jeweils nächsten Paderborner auf, wobei Schmiedebach zwischen enger Verfolgung und tieferer Position variierte.
Das Ziel dieser Ausrichtung ist natürlich klar erkennbar. Dadurch, dass unmittelbar Druck auf jeden Paderborner hergestellt werden kann, fehlen Zingerle die Optionen im flachen Aufbauspiel. Der Pass auf einen der Innenverteidiger konnte noch gespielt werden, aber dann geriet Zingerle durch die bogenförmigen Pressing-Laufwege des ballnahen Stürmers unter Druck und spielte hoch und weit auf Gueye. Dass es dazu keine Alternativen gab, lag auch daran, dass die Innenverteidiger riskante vertikale Freilaufbewegungen vermieden.
Wann immer ein Übergang ins Mittelfeld durch Ablagen der Stürmer oder durch vereinzelt mögliche Anspiele weit ausweichenden Klement gelang, fiel Union sofort in ein stärker raum-orientiertes 4-4-2-Mittelfeldpressing zurück, in dem Andersson in vorderster Linie nach rechts wich und (aus irgendeinem Grund) von Kroos unterstützt wurde.
Paderborn fächerte gegen diese Staffelung symmetrisch auf, Vasiliadis bewegte sich zentral hinter und zwischen der ersten Linie, während Klement sich halblinks auf Höhe des Mittelfeldbands postierte und gelegentlich mannorientiert von Prömel verfolgt wurde.
Paderborns Innenverteidiger wurden durch die Stürmer angelaufen, die aus einer zentralen Position kommend zugleich den Sechserraum abdecken und die Innenverteidiger nach außen abdrängen konnten. Sobald der Innenverteidiger nun unter Druck war, wurden engere Orientierungen zu den Gegenspielern aufgenommen. Ballgewinne wurden vor allem dann erzwungen, wenn Strohdiek den Ball auf den in den extrem verengten Halbraum zurückfallenden Schwede spielte, der sich, wiederum von Trimmel verfolgt, schnell in einer eins-gegen-vier Pressingfalle wieder fand.
Paderborn blieben nun oft vier Möglichkeiten: Erstens, in Anspiel auf den eng gedeckten Klement, der sich häufig dennoch lösen konnte. Zweitens, ein langer Schlag Richtung Gueye. Drittens, die Verlagerung auf den ballfern früh überlaufenden Dräger. Oder aber viertens, mit Chipbälle der Innenverteidiger oder Longline-Pässe der Außenverteidiger auszunutzen, dass Unions Defensive zurückfallende Bewegungen der Paderborner verfolgte, sodass Räume für die Stürmer des Sportclubs entstanden. Die Effektivität dieses letzten Mittels wurde aber ganz erheblich durch eine überragende Leistung beider Innenverteidiger Unions eingeschränkt.
Im Abwehrpressing formierte sich Union abermals um. Kroos fiel aus der höheren Position ins Mittelfeld zurück, während Schmiedebach enger an der Abwehr absicherte. Die Abwehrkette formierte sich in Erwartung Paderborner Steilpässe eng, wodurch auf den Flügeln hauptsächlich Gogia und Hartel verteidigen mussten.
Aus der Beobachtung, dass Strohdiek sich vor allem mit weiten diagonalen Bällen aus dem Pressing zu befreien versuchte, während Schonlau etwas erfolgsstabilere lineare Aktionen versuchte, folgte ein Fokus auf die rechte Seite im Angriffsspiel. Dort postierten sich Dräger, Antwi-Adjej und Gueye in einem Dreieck, aus welchem ersterer häufig am Flügel freigespielt werden konnte. Die verhältnismäßig enge Position von Lenz gab ihm zwar Platz und Zeit, um Flanken anzusetzen, verhinderte diagonale Aktionen in den Strafraum aber fast gänzlich.
Dass (hohe) Flanken im Allgemeinen ein wenig erfolgversprechendes Mittel sind, sollte mittlerweile hinlänglich bekannt sein. In diesem speziellen Fall sank die Erfolgschance durch die (körperlich) kleine Besetzung der Offensive weiter. Außerdem stand der einzige große Angreifer, Gueye, aus den Kombinationen heraus in einer etwas tieferen Position. Nur eine Flanke führte direkt zum Torabschluss, eine weitere konnte im Rückraum wiedergewonnen werden, sie führte dann allerdings zur wohl besten Paderborner Chance.
Neben diesen organisierten Abläufen muss das individuelle Defensivverhalten von Hübner und Friedrich gesondert gelobt werden. Beide fanden passendes Timing, um bei Pässen auf die Stürmer herauszuschieben und den Ball zuerst zu erreichen; sicherten einander gut ab; und standen nicht zuletzt bei Flanken und hohen Bällen sicher. Die Qualität der Defensivleistung in dieser Partie drückt sich ausgezeichnet in nur acht Paderborner Schüssen aus, was lediglich einem knappen Drittel des Saisondurchschnitts entspricht.
Anpassung zweite Hälfte
Zur zweiten Halbzeit nahm Paderborn eine Anpassung des Positionsspiels bei Abschlägen von Zingerle vor. Die Mittelfeldspieler bewegten sich nun konstanter tief vor dem eigenen Strafraum, sodass sie den eigenen Zehnerraum frei ließen. Besetzt wurde diese Zone durch Schwede und Antwi-Adjej, die ihre breite Position verließen und sich im Stile einer Doppel-Zehn innen postierten, wo sie mit langen Bällen gesucht werden konnten.
Auch hier blieb es allerdings bei einem Versprechen von Torgefahr. Zum einen konnten die Innenverteidiger Unions sich darauf verlassen, vom Rest der Abwehr abgesichert zu werden und gegen diese langen Bälle herausrücken. Und zum anderen hatte Unions Mittelfeld während diese Bälle in der Luft waren Zeit, sich fallen zu lassen, und Schmiedebach tiefer zu positionieren. Darüber hinaus ist ohnehin nicht trivial einfach, einen 60 Meter weit fliegenden, hohen Ball im Stand anzunehmen und sich dabei aufzudrehen.
Lang(weilig)e Bälle
Wenn das Paderborner Spiel mit Ball schon langweilig war, so empfand ich Union als nochmals uncooler. Die Situation ist dabei schnell beschrieben:
Union baute aus einer flachen Viererkette auf, in der sich Trimmel noch tiefer als Lenz positionierte. Paderborn presste aus einem 4-1-3-2 und konnte durch inneres Pressing der nahen Stürmer viel Druck auf die Innenverteidiger erzeugen. Friedrich und Hübner spielten unter diesem Druck entweder zu Gikiewicz, der gegen den im Pressing durchlaufenden Stürmer zum langen Ball griff. Oder die Innenverteidiger gaben den Ball an die Außenverteidiger weiter, die in ihrer tiefen Position mit etwas größerem Abständen zu den anlaufenden Paderborner Flügel mehr Zeit erhielten. Doch auch sie fühlten sich, wie etwa Christopher Trimmel nach dem Spiel sagte, durchaus unter Druck gesetzt, hatten ohnehin keine offene kurze Anspielstation und schlugen so ebenso lange Bälle.
Die Offensivspieler der Köpenicker formierten sich derweil recht eng, Hartel und Gogia blieben oft innerhalb der Strafraumbreite, Andersson bewegte sich aus dem Sturmzentrum zum Ball, mit einer Vorliebe für die rechte Seite. Die Achter schoben im Zentrum ebenfalls weit nach vorne, bis sie etwa zehn Meter hinter der vordersten Linie standen. Die langen Bälle wurden wenig überraschend auf Andersson geschlagen. Wann immer die offensiven Außen bemerkten, dass ihre Außenverteidiger Zeit am Ball hat, nahmen sie das als Signal, sich in der Tiefe für die schon erwähnten langen Bälle anzubieten.
Obwohl diese Spielanlage recht limitiert war, konnte Union damit viele Bälle in der eigenen Offensive halten, da es eine Überzahl vor der Paderborner Abwehr hatte. Sowohl bei zu kurz geratenen Bällen als auch bei Ablagen hatten Kroos und Prömel numerische sowie physische Vorteile gegen Vasiliadis, der wegen Klements höherer, auf Schmiedebach lauernder Position, im Sechserraum allein stand.
Union bekam den den Ball so in einer guten Position, verlor ihn aber schnell wieder an das Herausschieben der Innenverteidiger, den im Rückwärtspressing helfenden Flügelspieler, oder unpräzise Steilpässe, die von Collins abgelaufen werden konnten. Paderborn ist zwar immer noch relativ inkompetent im Absichern des Herausrückens eines Spielers, wie sich etwa an Unions erster Großchance durch Andersson in der 68. Minute zeigte, zwang sich aber häufiger in engere Staffelungen, in denen die Schnittstellen minimiert werden konnten.
Union zeigte sich ungeschickt dabei, die offenen Räume in Paderborns Defensive zu nutzen. Es gelang insbesondere den Außenstürmern nicht, die Räume neben der engen Kette nicht ausnutzen. Ihnen fehlte dazu die Orientierung zum Tor, das heißt, sie hielten sich in zu tiefen Positionen auf und machten Wege zum Tor zu spät, zu langsam und von zu weit oder außen.
Torgefährlich wurde Union demnach, wenn man Einwürfe, Ecken oder stumpfe Halbfeldflanken auf den zumeist stark besetzten zweiten Pfosten im Fünfmeterraum zog. Zingerle zeigte bei diese hohen Hereingaben erhebliche Schwächen, versuchte den Ball weder zu fangen noch zu fausten, und lenkte ihn somit oft nur mit den Fingerspitzen nach vorne. Man könnte spekulieren, dass seine ist seine Vorsicht in Kopfballduellen eventuell noch eine psychologische Folge, ein Schutzreflex, seiner Gehirnerschütterung im vergangenen Spiel sein könnte.
Insgesamt konnte auch Union nicht überzeugen, kam im Spiel ebenfalls nur zu acht Abschlüssen, von denen immerhin drei enorm gefährlich waren.
Hübnerragend
A propos Sonderlob für die Innenverteidiger: In der zweiten Halbzeit löste der im Positionsspiel nicht immer perfekte Hübner das Pressing zwei mal grandios auf, indem er unter Druck nach außen andribbelte und einen kurzen diagonalen Pass auf den weit zurückfallenden Hartel spielte. Allerdings blieben solche Momente die Ausnahme.
Fazit
Union hatte Vorteile durch die Überzahl im Zentrum, Paderborn hatte Klement. Hübner und Friedrich verteidigten viele Konter individuell weg. Dräger und Collins liefen viele Steilpässe nach Kontern ab. Beide Teams hatten Ansätze für gefährliche Konter, beide Teams blieben letztendlich ungefährlich.
Paderborn spielte in der ersten Halbzeit ansprechender, ohne große Glanzpunkte zu setzen, Union setzte in der zweiten Halbzeit Glanzpunkte, ohne ansprechend zu spielen. Paderborn verteidigt gut, Union überragend. Das Spiel verdient keine Tore, dafür aber beide Mannschaften ihren Platz im oberen Tabellendrittel.
Szene des Spiels (d)
Zwei nicht gemachte Laufwege nach 60 Minuten, die mitverantwortlich dafür waren, dass Union offensiv nicht mehr produzierte. Zunächst setzt sich Hübner im Aufbau nicht ab und bringt sich so unter Druck, dann läuft Gogia in einem Konter nicht hinter die Schnittstelle der Abwehr und lässt so das Momentum des Angriffs verpuffen.
Dass er unmittelbar danach ausgewechselt wurde, konnte ich gut nachvollziehen...
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