Der Spieler Mattuschka
Zur Feier des Tages und des Abschiedsspiels heute Nachmittag für Karim Benyamina und Torsten Mattuschka ein fast gar nicht nostalgischer Blick zurück auf letzteren als Spieler.
Für diese Hommage Einzelanalyse habe ich mir ein Spiel aus dem frühen Spätwerk Mattuschkas noch einmal angeschaut: ein 4-2 von Union zu Hause gegen St. Pauli im März 2013. Schon das Hinspiel in Hamburg war eins der Highlights in Mattuschkas Union Karriere, mit zwei spektakulären Toren in einem Unentschieden. In beiden Spielen hat 'Tusche' aber über Torbeteiligungen hinaus gezeigt, was ihn in Unions Spiel wichtig gemacht hat. Genau das wollen wir uns also ein wenig genauer anschauen.
Das Spiel um Tusche herum
Auch wenn es hier vornehmlich um Mattuschka gehen soll, ist es nötig und hilfreich, ein paar Worte über das Spiel insgesamt zu verlieren. Schließlich ist Fußball ein ausreichend kollektiver und komplexer Sport, Leistungen von Spielern schwerlich wirklich individuell betrachten, analysieren und bewerten zu können.
Union spielte unter Uwe Neuhaus eine Raute, in deren defensiver Position Michael Parensen das Spiel ausbalancierte, und deren Halbposition mit Björn Jopek vor seiner Verletzung und Baris Özbek recht spielstark besetzt waren. Von den Außenverteidigerpositionen aus gaben links Patrick Kohlmann und rechts Björn Kopplin dem Spiel Breite, während sich im Sturm Adam Nemec und Simon Terodde um die Streckung des Spiels in die andere Dimension kümmerten, sich aber auch regelmäßig fallen ließen um als Anspiel- und Ablagestation im Mittelfeld zu dienen.
Das St. Pauli von Michael Frontzeck spielte mit einem damals noch dem Zeitgeist entsprechendem 4231, aus dem in der Defensive ebenso konventionell ein 442 mit passivem Mittelfeldpressing wurde. Die Offensivbemühungen der Hamburger bestanden im wesentlichen aus Kontern aus dem eigenen Drittel über die Flügel. In einer Halbzeit mit sehr wenig Ballbesitz hatte ein gewisser Akaki Gogia, junger Rechtsaußen bei St. Pauli, durchaus ordentliche Szenen. Seine Auswechslung zur Pause erscheint trotz einiger unglücklicher Aktionen und einer dummen gelben Karte etwas harsch.
Die besten Momente in Unions Spiel kamen aber, wenn (oft aus der Innenverteidigung) direkt ins offensive Mittelfeld gespielt wurde. Hier boten sich entweder Mattuschka oder, wie schon erwähnt, die Stürmer an, um Bälle auf die nachrückenden Achter abzulegen. Zusammen mit den Außenverteidigern gelang es Union in diesen Momenten, ballnah Überzahlsituationen herzustellen. Das fiel der Mannschaft zusammen mit dem anschließenden schnellen Kombinationen schwerer, wenn sich Özbek oder Jopek die Bälle neben Parensen abholten. In diesen Momenten konnten sich die beiden Sechser St. Paulis an den verbliebenen Mittelfeldspielern Unions orientieren und die Spitzen im Pressing zusätzlich Passwege ins Zentrum versperren. Die Folge waren dann oft lange Bälle, die mit dem Ziel Adam. Nemec. aber durchaus ebenfalls gut verarbeitet werden konnten, und hin und wieder auch auf die Außenverteidiger zielten.
Einer der bereits angesprochenen guten Momente in Unions Spiel, in dem die Spieleröffnung aus der Innenverteidigung ins offensive Mittelfeld ging, führte auch zum 1-0 und bietet eine gute Gelegenheit, in den Mattuschka spezifischen Teil einzusteigen. Denn hier war es der Lausitzer, der von Fabian Schönheim den Ball erhielt. Als der bei Mattuschka ankommt, ist Simon Terodde schon in die Spitze gestartet und hat sich Tusche schon lange entschieden, zu versuchen, den Ball durchzustecken, was er mit nicht mal einem ganzen Ballkontakt tut. Zwar wird dieser Pass noch abgefangen, doch Mattuschka reagiert schnell auf den Abpraller, und erreicht im zweiten Versuch Terodde, der per Lupfer ein sehr schönes Tor schießt. In dieser Szene zeigt sich nicht nur, dass der Stürmer auch schon bei Union nicht schlecht war, sondern auch Tusches Übersicht - und nicht zuletzt seine Frustrationstoleranz.
Dem 2-1 für Union ging dagegen eine längere Ballbesitzphase für Union voraus, in der mehrere Angriffsversuche abgebrochen und neu gestartet wurden, zuletzt mit einer guten Spielverlagerung von Michael Parensen auf Kopplin. Der Verteidiger spielte dann einen vielleicht nicht ganz absichtlichen, aber sehr guten Pass auf Adam Nemec. Während Baris Özbek einlief, um das Ballhalten des Angreifers zu nutzen, antizipiert Mattuschka auf der anderen Seite des Strafraums die kurze Flanke, die Özbek kurz darauf spielen wird, setzt sich von seinem Gegenspieler ab und steht deshalb völlig frei, den Ball an die Unterkante der Latte zu schießen.
Auf Grund der eingangs beschriebenen Rollenverteilung in Unions Mittelfeld war Mattuschka in diesem Spiel weniger darin gefragt, sich in Ballbesitz in allen Phasen des Spiels einzuschalten, wie das zu anderen Gelegenheiten vorkam. Im Hinspiel gegen St. Pauli etwa ließ Mattuschka sich in tiefere Positionen fallen, um dort Gegnerdruck auf sich zu ziehen und seine Fähigkeiten zu nutzen, diesem Druck stand zu halten und das Spiel in die so geöffneten Räume zu verlagern. Das ist die primäre Funktion des Tuschekreisels, und das Element in Mattuschkas Spiel, das ihn ein wenig (manchmal gar nicht so wenig) Xaviesk macht.
Mehr Szenen in diesem Stil waren im Rückrundenspiel zu sehen, nachdem St. Pauli mit einem glücklichen|guten Schuss zum 2-2 kam und sich weiter zurück zog. Mattuschka ließ sich nun öfter mit dem Rücken in Gegner gedreht anspielen und bespielte auf charakteristische Weise Räume hinter ihm auch ohne sich aufzudrehen. Das 3-2 dagegen erzielte Nemec nach dem aus der ersten Hälfte bekannten Muster der Spieleröffnung aus der Innenverteidigung, für die er uns Mattuschka sich anboten, bevor sie den Slowaken mit einem Doppelpass freispielten.
Der Spieler Mattuschka - um es mit seinem ehemaligen Trainer und naja-in-einer-Art Förderer Ede Geyer zu sagen - hatte dabei allerdings eine paradoxe Beziehung zu Raum. Denn er war einerseits in seinem Aktionsgebiet sehr ausgedehnt - andererseits in jeder einzelnen Situation durchaus in seiner Beweglichkeit und der Distanz, über die er Aktionen strecken konnte, limitiert.
Das galt sowohl für das Spiel mit als auch ohne Ball, und gerade letzteres wird wohl auch deswegen oft unterschätzt. Dabei war Mattuschka im Umschalten in die Defensive durchaus kein Passagier. Im Gegenteil, er nutzte auch dabei seine Antizipationsfähigkeit und/oder Körperlichkeit um recht viele Bälle abzufangen und zu erobern. Aber es fehlte ihm eben an der Ausdauerschnellkraft, mehrere Sprints gegen den Ball in einem Angriff nacheinander zu vollziehen, wenn in der ersten Phase keine Balleroberung gelang. So kam es zu Szenen, in denen Mattuschka nach einer erfolglosen ersten Pressingphase dem Spiel hinterhertrabte - wie in dieser Partie nach 68:30 Minuten. Trotzdem war Unions Zehner auch defensiv durchaus effektiv, vor allem, wenn das gegnerische Angriffsspiel in die richtigen Zonen geleitet wurde: im mittleren Drittel auf die Flügel, wohin die Halbspieler der Raute verschoben während Mattuschka in den Halbräumen Verlagerungen zurück in die Spielfeldmitte verhindern konnte.
In der Mattuschka-Biographie von Matthias Koch wird dessen Berater Jörg Neubauer so zitiert: "[Mattuschka] hat 272 Punktspiele für Union bestritten. Für mich sind das 272 Erstligapartien, die er verpasst hat." Wie wahr das ist hängt davon ab, wie man den Konjunktiv versteht, der in dieser Aussage implizit ist. Wäre Mattuschka körperlich auf einem anderen Niveau gewesen, hätten seine übrigen Attribute zweifellos ausgereicht, auf höherem Niveau zu spielen. Dabei bleibt aber offen, ob die Grenzen für Mattuschkas Physis in nature oder nurture lagen.
Eine etwas andere Frage ist, ob Mattuschka auch in genau der Verfassung, in der er in seiner Zeit bei Union war, in der Bundesliga hätte spielen können. In diesem Punkt befürchte ich, dass Mattuschka körperlich zumindest für lange Zeit unter der athletischen Schwelle lag, seine Stärken auf höherem Niveau effektiv einsetzen zu können. Gegen Ende seiner Zeit bei Union traf das zunehmend auch in der zweiten Liga zu.
Szene des Spiels
Eine Kombination nach genau 15 Minuten, in denen ein überraschender Steilpass von Özbek auf Mattuschka und dessen Verlagerung die auslösenden Momente sind und schließlich Terodde die erste sehr gute Chance des Spiels hat.