Serie von Serienenden
Live-Berichterstattung aus Hamburg, wo Union auf ein wieder erstarkendes St.Pauli trifft.
Präambel
Zu den Standardsituationen des Sportjournalismus gehört es, in den vergangenen Ergebnissen einer Mannschaft nach Mustern und Serien zu suchen. Mal gibt es dabei Anlass zu glauben, dass diese Muster weiter gelten könnten, mal nicht.
Dass es in den Spielen zwischen St.Pauli und Union in letzter Zeit kaum Auswärtssiege gab, ist eine dieser Serien, für deren Erwähnung die direkt Beteiligten - allen voran Jens Keller - eher wenig Geduld haben.
Informativer für das, was in Hamburg zu erwarten ist, dürfte hoffentlich die gestern hier erschienene Vorschau sein. Sie ist zu mindestens bis zum Nachmittag, wenn die Aufstellungen vorliegen, gültig. Dann geht auch die Berichterstattung und Liveanalyse hier weiter.
T -55
Die Mannschaftsaufstellung von Union ist bestätigt, und ungefähr so überraschend wie der Fakt, dass das Stadion ausverkauft ist. Fraglich sind also nur Details der Rollenverteilung im Mittelfeld und vielleicht die Einbindung von Steven Skrzybski.
Und auch St.Pauli schickt die erwartet unveränderte Mannschaft ins Spiel.
T-50
Für Union ist das eine zweite Standortbestimmung in der Rückrunde. Während gegen Dresden defensive Stabilität unter Beweis gestellt wurde, ging das auf Kosten des offensiven Outputs. Das Verhältnis heute anders zu gestalten wird die Maßgabe sein.
T-2
Eine Folge des Einsatzes von Emmanuel Pogatetz statt Roberto Puncec könnte sein, dass Fürstner öfter zurückfällt und mehr Verantwortung im und für den Spielaufbau übernimmt.
1. Minute
Die Grundformationen beider Mannschaften sind ebenfalls wie im Vorfeld erwartet. Kroos orientiert sich gegen den Ball zunächst eher neben Fürstner in einer Doppelsechs, in Ballbesitz schiebt er natürlich vor in die Achterposition.
3. Minute
Union zeigt eine ungewöhnliche Ansätze: Hedlund fällt im Aufbau weiter zurück als gewohnt und steht situationsweise mit Kroos und Kreilach auf einer Linie, während die Aufbaudreierkette hin und wieder aus den Innenverteidigern und Parensen statt Fürstner besteht.
15. Minute
St.Pauli hat zunächst mehr vom Spiel, auch, weil Union seine Angriffe bisher sehr direkt spielt, dabei aber nicht ins Zentrum und zu Abschlüssen kommt.
30. Minute
Seit der glücklichen Führung kommt Union besser ins Spiel, auch weil die Außenverteidiger und das Mittelfeld in den Angriffen näher an die Offensivabteilung schiebt und so mehr zweite Bälle gewonnen werden.
Außerdem kommt man nach hohen Ballgewinnen (manchmal auch ohne besonders intensiven Druck) zu Chancen aus dem Umschaltspiel.
33. Minute
Mit einer relativ hoch stehenden Abwehrreihe geht man trotzdem ein Risiko ein, Laufduelle von Bouhaddouz gegen die eher nicht so schnellen Innenverteidiger bestreiten zu müssen. Pogatetz und Leistner bemühen sich zunehmend darum, diese Bälle vor der Annahme zu verteidigen.
45. Minute
Vor allem auf dem rechten Flügel spielt St.Pauli sehr schöne Kombinationen, aber Union kommt zu mehr und besseren Abschlüssen: #strafraumverteidigung
Halbzeitfazit
Vor einigen Wochen habe ich Jens Keller einmal gefragt, ob eher chaotische, unruhige Spiele seiner Mannschaft liegen. In dieser Halbzeit hat man gesehen, warum dem so sein könnte. Hedlund und Skrzybski kamen oft nach Umschaltsituationen und Kontern gegen eine ungeordnete St.Pauli Defensive zu Aktionen, aus denen einige große Chancen wurden.
Umgekehrt gab man durch die hohe Staffelung, mit der solche Szenen provoziert wurden, Räume hinter der Viererkette auf. Dass aus den so entstehenden 1vs1 Duellen von Bouhaddouz gegen die Innenverteidiger keine entscheidenden Szenen entstanden, war einerseits Glück geschuldet, andererseits klugem Verhalten nach eigentlich verlorenen Laufduellen geschuldet.
55. Minute
Die zweite Halbzeit geht weiter, wie die erste geendet hat. Mit hohem Risiko macht Union die Räume für St.Paulis Mittelfeld eng und hinter der Abwehr auf, hat das nötige Glück und Können, damit dass das defensiv nicht bestraft wird, und trifft selbst zum 2-0.
75. Minute
Bei Union gibt es den Standardwechsel Hedlund-Redondo, nachdem bei St.Pauli der in der zweiten Halbzeit etwas weniger effektive und aktive Möller Daehli und Sahin positionsgetreu ersetzt wurden (von Thy und Miyaichi).
85. Minute
Nachdem Union in den letzten 20min immer passiver spielte, trifft St.Pauli schließlich. Dass das Tor nach einem Standard und einer Flanke fällt bestätigt die Regel, dass Union sich auf die Verteidigung solcher Situationen verlassen kann.
Fazit
St.Paulis Torwart Heerwagen nannte Union nach dem Spiel mehrfach einen Aufsteiger, Mittelfeldspieler Nehrig sagte, die "Kanten, die dann auch die spielerische Qualität haben" seien für ihn die deutlich beste Mannschaft der Liga.
Das zeigte sich heute weniger in einer überlegenen Spielanlage als in Effektivität in wichtigen Momenten und individueller Klasse, mit der Union Konter einleitete und bis zum Abschluss durchspielte.
Letzteres gelang St.Pauli nicht, bis eine Schlussoffensive etwas zu spät kam.
Wir verabschieden uns für heute Abend, einen analytischen Nachtrag gibt es morgen.
Epilog
St.Paulis Trainer Ewald Lienen sagte Eiserne Ketten nach dem Spiel, dass in seinen Augen Unions Gegenpressing in diesem Spiel keine große Rolle gespielt habe. Ob das stimmt, kommt ein wenig darauf an, was man unter Gegenpressing genau versteht.
Denn mit der Guardiolaschen Gegenpressingschule, die aus eigenem Ballbesitzspiel erwächst, hatte das, was Union hier spielte, tatsächlich nur selten etwas zu tun. (Eine erwähnenswerte Ausnahme ist ein Ballgewinn von Toni Leistner in Unions Angriffsdrittel, nachdem eine disruptive Flanke von Fürstner vom rechten Flügel unzureichend geklärt wurde.
Stattdessen war ein häufiges Muster, dass Union Spieler, vor allem Skrzybski, doch noch an direkt nach vorn gespielte Bälle heran kamen, obwohl ihr jeweiliger Gegenspieler zuerst am Ball war. Dieses individuelle Nachsetzen war in der Tat der Fokus der Kritik, die Lienen an der Leistung seiner Mannschaft übte: dass es ihr nicht gelungen sei, intensiv genug zu spielen, um an Unions Level heranzukommen. Die Chance von Dudziak unmittelbar nach der Halbzeit illustriert, wie Intensität nicht nur im Verteidigen, sondern auch dem eigenen Angriffsspiel entscheidend sein kann. Sowohl bei Sobiechs Pass und Sobotas Ablage als auch am Beginn von Dudziaks Dribbling hatte St.Pauli in dieser Szene die Intensität, die ihnen in vielen Angriffen fehlte. Unter anderem deshalb kamen die Hamburger nicht zu mehr Chancen, obwohl sie -- wie sich in der Statistik der nah am Tor angekommenen Pässe zeigt -- große offensive Präsenz hatten.
Daneben hatte St.Pauli aber auch Probleme mit seinen Mittelfeldstaffelungen, am eklatantesten sichtbar vor Polters Chance nach 33min (siehe Graphik).
Szene des Spiels
In einem Spiel mit vielen Highlights bieten sich für diese Rubrik viele Momente an, beginnend mit St.Paulis pass rush nach dem Anstoß, über Parensens unwillkürlichen semi-Block bei Sahins Chance in der Anfangsphase und Polters zu-fälliges Tor bis zu schönen Pässen von Möller Daehli.
Ausgewählt habe ich hier aber eine Chance von Simon Hedlund, deren Entstehung bei 31:55 min AFTV beginnt: Nach einem Abstoß von Heerwagen gewinnen und sichern zunächst Parensen und Fürstner gut den Ball. Über einen langen Ball von Mesenhöler, den Bouhaddouz ohne Unterstützung angelaufen war und eine Kopfballablage von Kreilach sowie einen Pass von Fürstner wird wiederum Parensen in den Angriff eingebunden, der auf Hedlund im linken Halbraum spielt.
Mit dessen Verlagerung durch das Zentrum, wo St.Pauli zu tief steht, beginnt der spektakutläre - Skrzybskis - Teil der Szene. Steven nimmt Hedlunds Flugball stark an und spielt einen wunderschönen Pass durch die Beine von Buballa zurück auf Hedlund, der sofort ins Zentrum gestartet war, dessen Abschluss Heerwagen aber phantastisch hält.