Spitzen Spitzenreiter, wie spielt Breitenreiter?

Eine etwas längere Vorschau auf Unions Spiel in Hannover - zusammen mit Marius 'Jaime' Kunte vom vorzüglichen Hannover-Blog Niemals Allein

Stendel

Der vor der Länderspielpause entlassene Daniel Stendel. Photo: © Stuart Franklin/Bongarts/GettyImages

Was ist bei Hannover los?

  • Wie gut (schlecht) war Hannover in den letzten Wochen? Rechtfertigen die Leistungen den Trainerwechsel?

Es gab in den letzten Wochen oder sogar Monaten zwar insgesamt einen gewissen Leistungsabfall, die Gründe dafür sind aber nicht eindeutig gewesen: Gegen Ende der Hinrunde hatte sich das Ballbesitzspiel etwas stabilisiert, nachdem 96 Saisonbeginn ein wenig filigranes, aber sehr effektives Angriffsspiel gezeigt hatte, dann aber zunehmend den Faden verlor, relativ viele lange Bälle spielte und mehr auf zweite Bälle im Angriff setzte.

Als dann mit unterschiedlichen, kurzfristigen taktischen Anpassungen zumindest mehr Stabilität kam, ging wiederum ein wenig die Intensität und Abstimmung im ursprünglich sehr aggressiven Pressing verloren. In der Winterpause schien man an beidem recht erfolgreich gearbeitet zu haben, aber diese Fortschritte wurden in den ersten Rückrundenspielen nicht bestätigt.

Da Durchschlagskraft immer die verlässlichste Eigenschaft des Hannoverschen Spiels war, könnte man den Trainerwechsel insofern als gerechtfertigt ansehen - er ist aber wohl nicht die einzig logische sportliche Konsequenz.

Auch danach gab es wieder gewisse taktische Reaktionen mit Überladungen eines Flügels oder anderen Besetzungen der Stürmerpositionen, um die fehlenden Verbindungen nach vorne zu kompensieren. Aber trotz dann zumindest phasenweise ordentlicher Leistungen im Spielaufbau und auch insgesamt passablen Vorstellungen war 96 nicht mehr allzu durchschlagskräftig. Und da Durchschlagskraft immer die verlässlichste Eigenschaft des Hannoverschen Spiels war, könnte man den Trainerwechsel insofern als sportlich gerechtfertigt ansehen.

Weil aber regelmäßige Reaktionen des Trainerteams zu sehen waren - wie erfolgreich sie im Einzelfall auch immer gewesen sein mögen - und weil es auch Andeutungen über ein gestörtes Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainer gab, ist es wohl eine legitime Position, den Trainerwechsel aus rein sportlichen Gründen nicht für die einzig logische Konsequenz zu halten. Der Trend ging mit leichten Zuckungen spielerisch schon etwas länger nach unten, den entscheidenden Anstoß zur Trennung gab es aber wohl erst, als Braunschweig und Union 96 von den Aufstiegsplätzen verdrängt haben.

Schmiedebach

Hannovers Manuel Schmiedebach, dessen positionelles Geschick ein entscheidender Faktor seien könnte Photo: © Joachim Sielski/Bongarts/GettyImages

  • Wie wird wohl das Konzept von Breitenreiter für den Spielaufbau sein? Und mit wie großer Sicherheit lässt sich diese Frage beantworten?

Mit ziemlich geringer, aber vielleicht gerade noch ausreichender Sicherheit kann man sagen, dass es wohl auf eine Rückkehr zu den Strukturen und Ansätzen aus dem Sommer hinausläuft.

Im Testspiel gegen Schalkes modifizierte C-Elf sah es nach einer 3142-Staffelung mit einem prinzipiell abkippenden Sechser und relativ hoch stehenden Außenverteidigern aus. Breitenreiter hat betont, dass er möglichst wenig lange Bälle sehen möchte, aber mangelnde Geduld im Aufbau war zuletzt eher kein großes Problem mehr. Es fehlte stattdessen an produktiven Bewegungen im Mittelfeld und Passwegen in die gegnerische Formation hinein.

Ob solche (ja eher grundsätzlichen) Defizite in nur zwei Wochen ausreichend angegangen werden können, ist fraglich. Gegen Schalke gab es phasenweise fast schon chaotisches Freilaufen der beiden einrückenden Flügelspieler und des höheren Sechsers, aber ein konsequentes Bespielen des Zentrums war auch unter Stendel schon nie der eigentliche Plan.

Ob solche (ja eher grundsätzlichen) Defizite in nur zwei Wochen ausreichend angegangen werden können, ist fraglich.

Es ging, und geht möglicherweise wieder, eher um das Öffnen der Halbräume und schnelle Angriffe über die Seiten, wo auch Ballverluste und die Eroberung zweiter Bälle gewissermaßen eingeplant werden. Dazu tragen jetzt vielleicht auch die beiden Zentrumsstürmer etwas mehr bei. Gegen hohes gegnerisches Pressing hatte Hannover im Aufbau unter Stendel schon ein paar Fortschritte gemacht und konnte sich mit zurückfallenden Außenverteidigern manchmal recht gut befreien - daran wird sich wohl auch nicht viel ändern. Mit Gewissheit kann man wahrscheinlich nur sagen, dass im Zweifel bei 96 eher nicht gebolzt wird.

  • Im Test gegen Schalke hat 96 auch einige recht, sagen wir, mutige Pässe zwischen Torwart, Aufbaudreierkette und Sechs gespielt. Für wie wahrscheinlich haltet ihr, dass so etwas auch gegen Union zu sehen sein wird?

39%. Sicher nicht ausgeschlossen, aber regelmäßige Risikopässe durch das Zentrum sind in einem Pflichtspiel gegen einen dynamisch umschaltenden Gegner wohl eher nicht Plan A.

Es wird aber vielleicht auch davon abhängen, wie klar die Rollen der Sechser verteilt sind. Von Bakalorz als zentral aufbauendem Spieler sind einerseits weniger gewagte Pässe zu erwarten als von Schmiedebach, der sich aber wiederum andererseits besser zwischen den Linien bewegt und in engen Räumen kompetenter ist, also als „1“ im 3-1-4-2 mehr Möglichkeiten eröffnen würde. Ganz hinten wird die Neigung zum Risiko auch geringer ausfallen, da Tschauner ins Tor zurückkehrt und gegenüber Sahin-Radlinger eine unter Druck schwächere und im Passspiel unsichere Station für Rückpässe darstellt.

Hannover-Union

Mögliche Aufstellungen zu Beginn: Durch Fürstners Ausfall ist zum ersten Mal seit einiger Zeit vieles bei Union unklar. Am wahrscheinlichsten ist, dass Daube spielen wird. Auch eine Rückkehr von Pedersen in die Startelf ist möglich. Bei Hannover kommen statt Füllkrug auch Sobiech oder Maier in Frage - letzterer würde eher das Mittelfeld unterstützen als neben Harnik den zweiten Stürmer zu geben.

Welche Fragen stellen sich an Union?

  • Dass Union gut sein würde, wusste man. Aber so gut?

Nur zwei abgegebene Punkte in acht Rückrundenspielen sind sicher ein Ausreißer nach oben, sowohl in Form als auch Ergebnissen. In den 15 Spielen, für denen mir momentan Statistiken vorliegen, hat Union seine expected Goals Werte 10 mal übertroffen und ist nur 5 mal hinter ihnen zurück geblieben. (Tordifferenz in diesen Spielen: +13, xG-Differenz: +6,5.)

Aber dass Union in der absoluten Spitzengruppe mitspielen kann, wenn keiner der beiden Absteiger eine konsistent gute Saison hat, war mit diesem gutem (teurem) und eingespieltem Kader nicht ganz unwahrscheinlich.

Dass Union allerdings am oberen Ende der Erwartungen spielt hat auch damit zu tun, dass wichtige Spieler konstant in guter Verfassung sind und nicht ausfallen (Leistner, Kreilach, bisher Fürstner) oder sich sehr positiv entwickeln (Skrzybski und, viel überraschender, Pedersen). Mit Fürstners Verletzung stellt sich zum zweiten Mal nach Pedersens Fehlen ein Problem, für das der Kader keine offensichtlichen, nahezu gleichwertigen Lösungen anbietet. In Pedersens Fall konnte das abgefangen werden, in dem weniger Fokus auf diese Position gelegt wurde und Trimmel auf rechts seine Rolle einnahm - für das defensive Mittelfeld nicht wirklich eine Option.

Parensen

Michael Parensen, hin- und hergerissen zwischen den zwei Einsatzmöglichkeiten für ihn: als konservativer Fürstner-Ersatz im defensiven Mittelfeld und als Linksverteidiger. Photo: © Stuart Franklin/Bongarts/GettyImages

  • 96 wird vielleicht nicht mehr so hoch pressen und auch weniger aufrücken als zuletzt. Wie wohl fühlt sich Union mit ca. 60% Ballbesitz?

Dafür gab es in den vergangenen Monaten kaum Anschauungsmaterial - was vornehmlich damit zu tun hat, dass Union es nicht darauf anlegt, das Spiel mit Ballbesitz zu dominieren. Selbst in Spielen, in denen damit ohne großes Risiko defensive Ziele zu erreichen und Vorsprünge zu verteidigen gewesen wären, entschied man sich, weiter recht schnell vertikal zu spielen. Die einzige Partie in der Rückrunde, in der Union Ballbesitzanteile in diesen Regionen hatte (sogar 65%) war die extrem dominante Begegnung mit einem seltsam lethargisch-passivem Bielefeld, aus der wenig für eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe zu lernen ist.

Trotzdem hat Unions Mannschaft das Potential, guten Ballbesitzfußball zu spielen. Wenn Eroll Zejnullahu gegen Hannover zum Einsatz kommt, ist das ein Schritt dazu, mehr von diesem Potential auszuschöpfen. Aber der Grund dafür, dass das wahrscheinlicher ist als zuletzt - Fürstners Ausfall - hat einen komplexen Effekt auf Unions Spiel.

Mit seiner Übersicht, Antizipation und Zweikampfführung war Fürstner in dieser Saison von entscheidender Bedeutung in der Auslösung des Umschaltspiels, das Union hauptsächlich prägt. Diese Eigenschaften, zusammen mit Fürstners guter Positionierung, dank der er sehr oft eine sichere Anspielstation bietet, sind aber auch für Ballbesitzspiel wichtig. Es fragt sich also, ob die Alternative Fürstner in diesen Aspekten ersetzen kann.

Dafür spricht, dass falls Hannover sich entscheidet, Union Ballbesitz im defensivem zentralen Mittelfeld zu überlassen, die Balleroberungen Fürstners weniger gefragt seien könnten. Das anschließende Passspiel ist mit Kroos und Zejnullahu, sowie dem in dieser Hinsicht nicht zu unterschätzenden Leistner, vielleicht sogar stärker als mit Fürstner, dem darin ein wenig Variabilität abgeht. Zejnullahu kann darüber hinaus auch mit Dribblings Verbindungen in das offensive Mittelfeld herstellen, von dem allerdings nicht ganz klar ist, wie es besetzt sein wird. Oftmals in dieser Saison hat dazu Steven Skrzybski stark beigetragen, der gegen 96 aber auch damit beschäftigt sein könnte, Hannovers hoch aufrückenden Außenverteidiger zu verteidigen und/oder zum Verteidigen zu zwingen.

An seiner Stelle ist schon in den letzten Spielen öfter Simon Hedlund weiter nach hinten und nach innen zurückgefallen, während Union sich im Spielaufbau befand, wurde dabei aber eher selten angespielt. Wenn er öfter von Zejnullahu und Kroos öfter gesucht und gefunden wird, könnte er sich die Last im offensiven Zentrum mit Kreilach teilen. Für Sebastian Polter wäre es dabei vermutlich zielführender, weniger oft zurückzufallen und dem Spiel Tiefe zu geben.

Vielleicht weigert sich Keller aber auch, den Ballbesitz anzunehmen und es entsteht ein spielerisches Vakuum.

  • Falls 96 wie im Testspiel angedeutet eher Sommer-Stendel-haft spielen sollte: Wie erfolgreich presst Union Dreierreihen im Aufbau und wie gut verschließen sie die Halbräume/Flügel?

Eher gar nicht, beziehungsweise passiv und reaktiv. Zwar gibt es hin und wieder auch Momente, in denen in 433 Stellungen die Aufbauspieler selbst gepresst werden, doch meist beschränken sich Kreilach und Polter gegen solche Aufbaureihen darauf, die Option im Zentrum hinter sich zuzustellen, und laufen die Außenstürmer die gegnerischen Flügelspieler an, um Anspiele in die Mitte zu verhindern. Gegen die meisten Gegner reichte das, um lange Bälle in die Spitze oder das offensive Mittelfeld zu provozieren, die Union recht souverän in Kopfballduellen von Leistner etc gewinnt, nach denen Fürstner oft zweite Bälle einsammelte und Umschaltaktionen initiierte.

Im Wissen um die eigene Kopfballstärke hat Union vielen Gegnern die Flügel für Angriffe angeboten. Die Mannschaften, die das nicht für Flanken, sondern eben für Aktionen in den Halbräumen nutzten, bereiteten Union so auch die größten defensiven Schwierigkeiten - nicht zuletzt Hannover im Hinspiel.

Mit seinen Schwächen und Stärken könnte - wenn es dem Fürstner Ersatz gelingt, dessen Rolle darin auszufüllen - dieser Plan auch weiterhin funktionieren, jedenfalls dann, wenn bei Breitenreiters Mannschaft die Verbindungen zwischen der Aufbaudreierkette und dem Mittelfeld noch nicht besser funktionieren als im Test gegen Schalke, als sich oft nur Schmiedebach dazu anbot.

  • Zwei Fragen zu Unions Mittelfeldpersonal: Wer wäre besser, ein (horizontal) etwas beweglicherer Kreilach oder ein robusterer, direkterer Zejnullahu? Und ist Felix Kroos gut, sehr gut, oder ein bisschen überschätzt? Ich schwanke bei quasi jedem Union-Spiel, das ich sehe, minütlich zwischen diesen drei Möglichkeiten und kann mich nicht mit mir einigen.

Diese Fragen geben einen guten Anlass, darüber nachzudenken, ob und wie die genannten Spieler ein Mittelfeld ohne Stephan Fürstner besetzen können.

Beginnen wir mit Felix Kroos: im Kontext der zweiten Liga ist die Antwort 'all of the above'. Kroos ist ein Spieler mot vielen Fähigkeiten auf gutem Niveau, die Kombination aus technischer Sauberkeit, Robustheit und gelegentlicher Kreativität macht ihn zu einem sehr guten Zweitligaspieler.

Weil die Einschränkung auf die zweite Liga gilt, und Kroos' Fähigkeiten sich eher leicht als weit von Konkurrenten dort abheben, wird der Greifswalder, und vor allem sein Potential, aber auch ein wenig überschätzt.

Gerade, falls Kroos gegen Hannover auf der Fürstner Position spielen sollte, wäre das eine Gelegenheit, diese Einschätzung insofern zu widerlegen, als gute positionelle Übersicht ihn tatsächlich zu einem sehr guten Spieler machen würde. Der Nachweis dafür steht bis dato aber noch aus. Wenn Kroos neben Fürstner spielt, kommt ihm eher die Rolle zu, Räume mit dynamischer horizontaler Bewegung abzudecken.

Laufen Kroos und Eroll als Doppelsechs auf, müsste Kroos wohl manche seiner und Fürstners Aufgaben übernehmen, da Zejnullahu für die Verbindung in die offensive zuständig wäre - was uns zur zweiten Frage bringt. Diese könnte man alternativ auch so formulieren: Was ließe ein robusterer, direkterer Zejnullahu noch zu wünschen übrig? Nicht schrecklich viel, denn diese beiden Verbesserungen würden zwei Probleme in Erolls Spiel lösen: dass seine defensiven Aktionen, zu denen er durchaus bereit ist, etwas ineffizient sind; und dass seine Entscheidungsfindung in der Tat manchmal in Richtung des Umständlichen fehlgeht. Dass er spielerisch sehr gut ist, steht außer Frage - nicht nur Stephan Fürstner kann sagen: "Eroll ist einer der technisch versiertesten Spieler, die ich je gesehen habe."

Was auch einer 2.0 Version von Eroll vielleicht noch fehlen würde, ist die herausstechende Eigenschaft von Damir Kreilach, seine Torgefahr - nocheinmal in den Worten von Fürstner: "dass er, auch als Mittelfeldspieler, immer den Drang hat, die Box zu besetzen." Diese instinktive Ausrichtung ist prägend für Kreilachs Spiel und steht einer horizontaleren Spielweise entgegen, bei der auch die sonstigen Charakteristika des Kroaten, seine aggressive Zweikampfführung und Tororientierung auch im Passspiel, weniger zur Geltung kämen. Kreilach ist der besten Version seiner selbst also schon näher als Eroll, der aber insgesamt größeres Potential hat - auch in einer Rolle, wie er sie am Samstag spielen könnte.

Prognosen

Wie in der letzten Vorschau tippen wir den expected Goals Ausgang des Spiels. Daniel erwartet ein knappes Spiel mit einigen Chancen, das Union trotz eines 1,4 - 0,8 Defizits in xG gewinnt.

Marius will sich nicht festlegen, ob Hannover gewinnt oder es ein Unentschieden gibt, sieht aber ein Chancenplus für die Niedersachsen von 1,8 - 1,2.