Verwehrte und verwertete Chancen

Mit einem gar-nicht-so-klaren 4-1 Sieg gegen St. Pauli erobert Union eine nichts-mit-kleinem-n sagende Tabellenführung.

Žulj holding StPauli at Arms length

Neuzugang Robert Žulj trat sehr selbstbewusst auf. Außerdem ein Symbolphoto des Spielverlaufs, wenn auch nicht der taktischen Lage; Photo: Felix/Union in Englisch/Football & Wildlife Media

Ausgangssituation

In Unions drei bisherigen Spielen in dieser Saison wurde deutlich, dass Urs Fischers Mannschaft in der Lage ist, relativ verlässlich gegen den Ball zu spielen und einigermaßen gefährlich zu kontern. Allerdings auch, dass kontrollierter Spielaufbau (noch) nicht wirklich eingeplant ist. Für das Spiel gegen St. Pauli, das als einzige Mannschaft seine ersten beiden Ligaspiele (gegen Magdeburg und Darmstadt) gewonnen hatte, entstand so eine interessante Konstellation:

Die Muster im Aufbauspiel der Hamburger ähneln recht stark denjenigen von Köln, denen Union sich vor zwei Wochen gewachsen gezeigt hat. Würde sich St. Pauli also zutrauen, dieses Muster besser als Köln anzuwenden? Und würde Union auch in einem Heimspiel ohne underdog-status eine sehr reaktive Rolle annehmen und sich für die eigene Offensive auf Konter konzentrieren?

Neutralisation

Diese Fragen hätten auch in der Überschrift des Artikels stehen können, denn die Antwort auf beide lautete: nein. St. Pauli entschied sich dafür, die 4141 Formation aus den bisherigen Spielen leicht anzupassen, und die Aufbau-Staffelungen mit in die Halbräume eingerückten Außenverteidigern und nur selten abkippendem Sechser deutlich abzuwandeln. Statt den verletzten Avevor direkt mit einem anderen Innenverteidiger zu ersetzen und Marvin Knoll in seiner Rolle als weiträumig agierender Sechser aufzustellen entschied sich Markus Kauczinski, Knoll in die Innenverteidigung zurückzuziehen. Statt Knoll spielte Bernd Nehrig im defensiven Mittelfeld, wo Flum mehr als zuletzt neben ihm statt in der Reihe vor ihm agierte. So war St. Paulis Formation eher ein 4231, in dem aber Nehrig im Aufbau quasi immer zwischen die Innenverteidiger zurückfiel, mit den üblichen auf dem Flügel nach vorn schiebenden Außenverteidigern.

Union-StPauli

Die Aufstellungen zu Beginn: Union weiter im 433, aber mit Florian Hübner. St. Pauli verletzungsbedingt eher mit zwei Sechsern

Diese Ordnung war stabil genug, gegen Unions spät (in der Ballbesitzphase) einsetzendes 442 Angriffspressing nur den Ball zu verlieren, als Ziereis ignorierte, dass Simon Hedlund am Spiel teilnimmt. Union konnte so aus Umschaltmomenten kaum Offensivszenen produzieren.

Aus dem eigenen Aufbauspiel aber eben auch nicht. Obwohl sich Grischa Prömel nicht ganz so vertikal und weit nach vorn bewegte wie in vorigen Spielen in dieser Saison hatte Union Probleme, den Sechserraum in das Aufbauspiel einzubeziehen. Schmiedebach stand dort oft im Deckungsschatten von St. Paulis Spitzen, und bekam den Ball nur wenn er sich vor sie näher an die Abwehr bewegte. Prömel war zwar räumlich näher am Aufbauspiel, stellte sich aber selten so dazu, dass er hätte angespielt werden können. So ließ sich manchmal Felix Kroos von der offensivsten Mittelfeldposition in die tieferen Mittelfeldräume oder gar in den Raum zwischen linkem Innen- und Außenverteidiger fallen. Verbindungen ins Mittelfeld zu schaffen gelang keinem von ihnen wirklich.

St. Paulis Offensive kam nur unwesentlich besser ins Spiel: Møller Dæhli und Neudecker wechselten gelegentlich die Flügel (und besetzten auch Räume im Zentrum). Beide hatten Szenen, in denen sie sich und Mitspielern mit Dribblings Räume öffneten und spielten ein paar öffnende Pässe, die aber immer nur die vorletzten eines Angriffs waren - Unions Strafraumverteidigung verhinderte annährend komplett, dass auch der letzte Pass einen Abnehmer gefunden hätte.

Moller Daehli

Wenn St. Pauli (ansatzweise) gefährlich wurde, war Møller Dæhli involviert; Photo: Felix/Union in Englisch/Football & Wildlife Media

So hatte St. Pauli mehr Kontrolle über das Spiel in der ersten Halbzeit und zwar auch die gefährlicheren Ansätze, aber keine zu Ende gespielten Chancen oder Abschlüsse. Das ging Union allerdings ähnlich, nur dass der Heimmannschaft über weite Strecken auch die Ansätze abgingen.

Und dann stand es zur Halbzeit 2-0 für Union. Weil man zwei lange Einwürfe (mit langen Reaktions-Latenzen der St. Pauli Verteidiger) zu zwei Toren in den 5 Minuten vor der Pause nutzte.

Zweite Halbzeit

Dieser Spielstand und Unions über-effiziente Chancenverwertung bestimmten naturgemäß die Bedingungen, unter denen beide Teams in die zweite Halbzeit gingen. St. Pauli musste mehr Risiken eingehen und stellte nach wenigen Minuten auf ein 4-Raute-2 um, indem Veerman als zweite Spitze ins Spiel kam.

Damit öffneten sich für Union größere Räume für Konter, weshalb die Schwierigkeiten im Spielaufbau weniger ins Gewicht fielen. Nach Balleroberungen im defensiven Mittelfeld hatten die Sechser, insbesondere Schmiedebach, nun mehr Raum im Rücken von St. Paulis Offensive. Diesen Raum nutzte Schmiedebach etwa, um mit einem schönen Flugball auf Andersson dessen Tor zum 3-0 vorzubereiten.

Anderson Tor

Sebastian Andersson lässt Philipp Ziereis aussteigen; Photo: Stefanie Fiebrig/Textilvergehen

Nach diesem Tor gab es eine Phase der Verwirrung, oder besser Konsternation, in den Reihen St. Paulis, die auch schon zum 4-1 hätten führen können. Nach der Einwechslung von Sahin wechselte St. Pauli wieder zum 4231 und stabilisierte sich, verkürzte zum 3-1 und und hatte eine Chance auf den Anschlusstreffer.

Dieser fiel jedoch nicht und ein spektakuläres Comeback damit aus. Stattdessen kam Unions Neuzugang aus der Champions League, Robert Žulj, ins Spiel - der die dazu passende Attitüde mitbrachte und sich mit großem Selbstvertrauen an Unions Kontern beteiligte. Am erfolgreichsten tat er das, als er in einer 4-3 Situation am Strafraum den am wenigsten offensichtlichsten Pass quer auf Andersson spielte. Der kam an, weil Schmiedebach mitdachte, und erlaubte es Andersson das 4-1 zu schießen.

Szene des Spiels

Ein Kandidat für diese Rubrik wäre Simon Hedlunds etwas kontroverse Balleroberung nach 19 Minuten gewesen - aber die haben wir schon im Podcast ausführlich diskutiert.

Hedlundsurprise

Philipp Ziereis hatte nicht den besten Tag - er war es auch, der Simon Hedlund übersah; Photo: Stefanie Fiebrig/Textilvergehen

Schauen wir also auf eine Szene, die vom Ergebnis konterkariert wurde, aber zeigte, was in diesem Spiel auch hätte passieren können: Der Ballverlust von Akaki Gogia, dessen Geschichte nach 14:30 Minuten beginnt. Eine Hacken-Ablage von Møller Dæhli wird von Diamantakos nicht aufgenommen, Union kommt also in der Innenverteidigung in Ballbesitz, der sofort an den zurückfallenden Schmiedebach weitergegeben wird. Fast ausnahmsweise folgt ein Pass ins Mittelfeld - allerdings nicht auf Prömel, der in dieser Szene aber anspielbar war, sondern auf Kroos, der sich den Ball tief abholt. Nachdem ein Versuch, über Simon Hedlund nach vorn zu spielen, fehlschlägt fällt nun auch Kroos zurück, und Union findet sich wieder außerhalb der Formation St. Paulis wieder. Nun macht aber Gogia eine gute Auftaktbewegung, um von Friedrich angespielt zu werden, und könnte sich in den Zehnerraum aufdrehen. Aus unerfindlichen Gründen spielt er stattdessen einen Pass ins Zentrum, wo ihm drei St. Paulianer näher sind als der erste Unioner. Diamantakos bekommt so den perfekten Ballgewinn geschenkt, wird aber von Hübner entschleunigt. Ein gewonnener Zweikampf von Manuel Schmiedebach gegen Møller Dæhli bereinigt die Situation, Gogia und Union bleibt nur, sich bei Schmiedebach zu bedanken.

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