Richtungsweisend

Was ist von dem (eventuell) richtungsweisenden Spiel zwischen Union und dem VfB Stuttgart zu erwarten? Eine Vorschau mit Jonas von VfBtaktisch.

Für diese Vorschau haben Jonas von VfBtaktisch und ich uns gegenseitig Fragen über die Mannschaften, die wir beobachten, gestellt und beantwortet. VfBtaktisch ist sehr lesens- und folgenswert: Aktuell hat Jonas dort noch einige zusätzliche Gedanken aus VfB-Sicht ausgeführt.

Was macht Stuttgart?

  • Wie pressingresistent ist das Stuttgarter Aufbauspiel?

Die Innenverteidiger sind, abgesehen von Toni Sunjic, alle extrem passstark und im Aufbau mittlerweile auch recht dominant. Der VfB vermeidet allerdings zu viel Risiko im Aufbau, sodass man selbst mit einem gut gespielten Angriffspressing wohl "nur" lange Bälle erzwingen, aber keine hochwertigen Ballgewinne erreichen würde. Schlecht ausgeführt läuft man wiederum Gefahr, mit Vertikalpässen überspielt zu werden. Eine Alternative wäre, etwas tiefer zu stehen und Pressingfallen im Zentrum um Terodde und die wenig spielstarken Achter herum aufzubauen sowie die Innenverteidiger entsprechend zu leiten. Das wäre zwar riskant, könnte aber mit der einen oder anderen Umschaltmöglichkeit belohnt werden.

  • Woher rührt die große Leistungsamplitude (von Fürth bis Dresden)?

Als Hannes Wolf beim VfB anfing, versuchte er ein konsequentes Aufbauspiel und hohe individuelle Wachheit und Aktivität rein zubekommen. Eigentlich sind das zwar positive Elemente, aber in den ersten Spielen griff das alles noch nicht ineinander. Das Offensivspiel war sehr improvisiert und litt wegen dem Ausfall von Simon Terodde unter fehlenden Fixpunkten. Gegen den Ball war der VfB außerdem nur Durchschnitt. Startschwierigkeiten unter dem neuen Coach, so würde ich es zusammenfassen. Mittlerweile ist die Ausrichtung deutlich pragmatischer geworden und die Leistungen und Ergebnisse haben sich stabilisiert.

  • Welcher Spieler ist positiv oder negativ ausschlaggebend?

Es gibt eine Menge individuell sehr guter Akteure beim VfB, aber besonders wichtig ist sicher Hajime Hosogai. Er verbindet klassische Abräumerqualitäten und Reichweite im Gegenpressing mit strategischer Stärke und gutem Passspiel. Seine Bedeutung für das Spiel des VfB erkennt man nicht zuletzt daran, welche taktischen Wellen sein Ausfall geschlagen hat. Ohne einen ähnlichen Spielertypen als Ersatz wurde der Spielaufbau weitaus direkter und risikofreier gestaltet, außerdem stellte Wolf ein paar Mal auf Doppelsechs um. Wie sich seine Rückkehr jetzt genau auswirkt, ist daher besonders spannend. Theoretisch könnte der VfB mit Hosogai im Team wieder versuchen, ambitionierter Fußball spielen.

  • Welcher Ansatz des VfB gegen den Ball funktionierte am besten, und was ist gegen Union zu erwarten?

Das 442 hat mir - was Verschieben und Kompaktheit betrifft - etwas besser gefallen. Im 4141 hat der VfB oft das Problem, dass die Mannschaft ein bisschen zweigeteilt auftritt. Der Sechser spielt ungewöhnlich tief, die Achter sehr hoch. Das schadet dem Gegenpressing und man bekommt die Räume um den Sechser herum nicht optimal gesichert. Außerdem sind die Pressingabläufe noch nicht so gut verzahnt, wie sie angesichts der vier Pressinglinien sein sollten. Dem VfB fehlen manchmal Flexibilität und Zugriff; das ist allerdings in den letzten Wochen schon ein bisschen besser geworden. Angesichts dessen und der Tatsache, dass die Achterrollen auch für das Offensivspiel wichtig sind, ist eher mit dem 4141 zu rechnen. Eine Anpassung mit Formationswechsel ist aber auch denkbar, etwa um den zurückfallenden Bewegungen von Unions Flügelspielern mehr Kompaktheit entgegenzusetzen.

Aufstellungsprognose

Union

Mögliche Startformationen: Unions rechte Verteidigung ist weiter prekär.

Was macht Union?

  • Gibt es bestimmte Räume (oder Spieler), die im Offensivspiel besonders gesucht werden?

Union zeigte sich in dieser Hinsicht bisher unkonstant, oder zumindest wechselhaft. Es gehörte zur taktischen Grundausrichtung, das offensive zentrale Mittelfeld zu bespielen. Dazu zog Jens Keller etwa in einigen Spielen Steven Skrzybski vom Flügel auf die Zehn, während sich zuvor der Mittelstürmer regelmäßig in diesen Raum fallen ließ. Aber in den Spielen, in denen das nicht gelang, und die nicht von der starken Form eines der Offensivspieler geprägt wurden, verabschiedete man sich von diesem Prinzip und fokussierte stattdessen die Flügel - auch wenn das nicht einmal zu den eingesetzten Spielern passte, wie zuletzt gegen Düsseldorf und Kaiserslautern.

Ansonsten setzt Keller nicht unwesentlich auf Pressing und Gegenpressing. Obwohl beides oft in einem Atemzug genannt wird, ist es einigermaßen unterschiedlich und funktioniert auch verschieden gut. Während vor allem mit Collin Quaner hohes Angriffspressing erfolgreich war, ist das Gegenpressing weniger konstant und präsent.

  • Wer ist Unions Schlüsselspieler?

Stephan Fürstner. Daran, wie gut es Fürstner gelingt, das Aufbauspiel mit dem Mittelfeld zu verbinden, hängt, wie gut die Offensivreihe und Kroos und Kreilach ins Spiel kommen. Fällt er im Aufbau, wie zuletzt, zu früh, zu weit und zu lange nach hinten zurück, zerreisst die Union Mannschaft und findet keinen Weg, ihre anderen Stärken einzubinden.

Gegen Stuttgart könnte sich der Effekt dieses Verhaltens allerdings umkehren. Wenn es hinter den Achtern der Schwaben freie Räume gibt, könnte Union die Aufteilung des eigenen Mittelfelds in Kauf nehmen, um diese Räume mit Kroos/Kreilach und Skrzybski zu besetzen. Die Effektivität dieses Plans hinge daran, wie gut man im Aufbau mit dem Stuttgarter Pressing zurecht kommt und präzise Anspiele ins offensive Mittelfeld gelingen.

  • Wie gut beherrscht Union das Konterspiel, das gegen ansonsten gut tief verteidigende Stuttgarter gebraucht wird?

In der Liga spielten Konter für Union bisher nur eine untergeordnete Rolle - nicht zuletzt, weil man eher selten Gelegenheit dazu bekam. Das personell durchaus vorhandene Potential dazu deutete sich aber im Pokal gegen Dortmund an. Alle Offensivspieler haben in der zweiten Liga Geschwindigkeitsvorteile gegen viele Gegner. Mit Fürstner, aber auch Schönheim und Leistner, hat man Spieler in der Hintermannschaft, die Konter gut auslösen können. Interessant war außerdem, wie gegen den BVB oft bei Kontern nicht der direkteste, sondern ein eher bedachter Weg gewählt wurde, und die Angriffe so langsamer, aber kontrollierter, vorgetragen wurden. Ob das auf dieses Spiel übertragen werden kann, ist aber fraglich: einerseits wird Eroll Zejnullahu nicht (lange) spielen; andererseits bestand die Motivation dazu wohl auch in Angst vor teuren Ballverlusten im Gegenpressing.

  • Wie könnte Union auf Stuttgarts Muster reagieren, die Außenverteidiger mit Rückwärtsbewegungen der Flügelspieler nach vorn zu locken und die Achter in die frei gewordenen Räume stoßen zu lassen?

Damit, in Schwierigkeiten zu kommen. Vor allem im Anschluss an eigene Angriffe sind die Flügel bei Union oft eher schwach abgesichert. Gerade die Sechser schieben selten auf den Flügel, um dort zu verteidigen. Außerdem kommt die Spielanlage der Außenverteidiger Stuttgarts Mechanismus unter Umständen entgegen, da sie auch von sich aus schon gern ins zweite Drittel schieben, auch gegen den Ball. Eine spezifische Anpassung könnte hier also erforderlich sein. Sie müsste auf die ein oder andere Weise die Flügelstürmer dazu bringen, sich defensiv stärker zu beteiligen: indem sie entweder ihre Pendants von den Außenverteidigern übernehmen; oder Lücken im Zentrum füllen, die entstehen, wenn die Sechser außen helfen.

'Fazit'

In den kommenden Wochen könnte sich entscheiden, welche Rolle Union in dieser Zweitligasaison spielen wird. Zumindest aber werden sie die Ausgangssituation für die Rückrunde definieren. Das liegt einerseits am Status von Stuttgart oder Braunschweig als Kontrahenten in der Spitzengruppe der Liga, andererseits daran, dass in diesen Spielen andere Herausforderungen als bisher auf die Mannschaft von Jens Keller zukommen: gegen Stuttgart sieht man im individuellen Vergleich schwächer aus als gegen fast alle anderen Mitbewerber, Heidenheim und Braunschweig werden wohl aktiver gegen Union spielen als etwa Kaiserslautern und Düsseldorf.

Es wird deshalb spannend sein zu sehen, ob Union sein eigenes Spiel durchbringen kann, dass sich für Jonas vor allem durch einen Fokus auf das offensive Zentrum und Präsenz im Sechserraum von der Konkurrenz abhebt. Ob man damit Freiheiten hinter den Achtern Stuttgarts findet, oder Kroos und Kreilach von ihnen neutralisiert werden, bleibt abzuwarten - und damit Verlauf und Ausgang der Partie.